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Pränatal Yoga Expertin Patricia Thielemann: Warum und wie Yoga werdende Mütter unterstützen kann

Patricia Thielemann von Spirit Yoga Berlin ist Deutschlands bekannteste Expertin für Pränatal und Postnatal Yoga. Im Gespräch mit evidero erzählt sie, wie die Geburt ihrer Kinder ihr eigenes Leben verändert hat.
Patricia
von Patricia Thielemann
Haltung des Kindes im Praenatal Yoga© Melissa Lund

Eine Schwangerschaft ist eine Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung für Frauen. Das ist nicht immer einfach: Der Körper verändert sich, die Hormone spielen verrückt, Gefühlsausbrüche irritieren die werdenden Mütter genau so wie deren Umfeld. Wie Yoga Frauen sowohl während der Schwangerschaft und Geburt als auch danach unterstützen kann, erklärt Patricia Thielemann, Deutschlands Top Expertin für Pränatal und Postnatal Yoga.

Die zweifache Mutter und Leiterin der Spirit Yoga Studios in Berlin hat mehrere Bücher und Übungs-DVDs zu Pränatal und Postnatal Yoga veröffentlicht. Patricia entschied sich selbst erst spät für Kinder und war nicht so sicher, ob das Muttersein wirklich zu ihr passen würde. Heute sind ihre beiden Jungs nicht nur das größte Glück ihres Lebens sondern auch ihre besten Yogameister.

evidero    Liebe Patricia, vor Kurzem habe ich mit einer werdenden Mutter, im vierten Monat schwanger, gesprochen. Sie sagte ehrlich, es falle ihr schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass jetzt ein völlig neuer Lebensabschnitt beginnt. Die Schwangerschaft kam überraschend und sie hatte sich ohne Kinder eigentlich ganz wohl und erfüllt gefühlt. Kennst du solche gemischten Gefühle von Schwangeren?

Ich kenne das sehr gut, egal ob geplant oder ungeplant – eine Schwangerschaft ist eine Überraschung. Auch ist das Bild der Mutter nicht immer nur positiv besetzt. Wer vorher selbstbestimmt gelebt hat, dem fällt es nicht immer leicht sich auf eine so große Veränderung ohne Vorbehalte einzulassen. Auch können einen die Hormone ganz schön übermannen. Von jetzt auf gleich sagt der Körper: Lass los! Gib dich hin! Es ist normal, dass der Kopf da manchmal nicht so schnell hinter her kommt.

evidero   Ist das vielleicht eine unterschätzte Herausforderung neben der Vorbereitung auf das Neue: Der Abschied vom Alten?

Ja, das wird unterschätzt. Es gibt ja so den Mythos, auch aus Filmen, dass in einer Schwangerschaft dann alles plötzlich rosa oder hellblau erscheint und alle gehen auf Zehenspitzen und sagen “Oh wie toll”. Aber das bedeutet eben auch, dass sich ganz viel ändert, von dem man aber jetzt noch gar kein klares Bild hat. Was kommt da auf mich zu und wie? Das kann man alles nicht absehen und fassen, nur eines scheint sicher: Alles wird sich ändern. Denn davon hat sicher jede Frau schon einmal gehört.

Diese wissenden Aussagen der anderen Frauen, die das schon hinter sich haben. Wenn man das dann selber durchmacht und noch nicht einschätzen kann, dann kann das eben auch erst mal eine Zumutung sein. Und dann kommt noch hinzu, dass eine Schwangerschaft etwas Endgültiges hat: Transformationsprozesse im Leben kommen ja immer wie eine Naturgewalt über uns.

Doch im Gegensatz zu einer Trennung oder einem Wohnortwechsel, wo immer noch so eine Option oder Hoffnung mitschwingt, sei es auch nur als Illusion, man könnte es zur Not und mit etwas Mühe wieder rückgängig machen…Bei einer Schwangerschaft geht es tatsächlich um Leben und Tod: Da verändert sich etwas für immer. Da kann man nichts mehr rückgängig machen. Das hat wirklich Gewicht.

evidero   Gibt es in unserer Gesellschaft zu wenig Raum für Zweifel und Ängste von Frauen während einer Schwangerschaft?

Ja, da wird nicht drüber gesprochen. Und was ich auch immer alarmierend finde, ist, dass unsere Gesellschaft applaudiert, wenn eine Frau im neunten Monat und auch davor noch alles schafft und einfach nebenbei ein bisschen schwanger ist. Es kostet eine enorme Energie, ein Kind in sich reifen zu lassen. Es ist gut, einen Gang runter zu schalten.

Alles, was eine werdende Mutter denkt, fühlt oder tut, erlebt ihr Baby mit. Möchte man dem neuen Leben direkt als ersten Eindruck Stress und Push und “Ich schaff alles” vermitteln? Oder möchte man dem Kind als allererstes die Erfahrung von Sicherheit und Geborgenheit schenken?

Wie kann Yoga die werdende Mutter in der Schwangerschaft unterstützen?

evidero   Kann Yoga diesen Raum schaffen?

Ja, im Pränatal Yoga geht es tatsächlich viel weniger um clevere Übungen oder Atemübungen, die einem dann vielleicht die Geburt erleichtern. Es geht viel mehr darum, den Raum zu schaffen, mit dieser Zeit der großen Veränderungen bestmöglich umgehen zu können. Die Schwangerschaft ist immer einzigartig. Selbst wenn eine Frau noch fünf weitere Kinder kriegt, dieses Leben, dieses Kind wird sie nie wieder so nah an sich haben und deshalb sollte sie das auch zelebrieren.

Schwangerschaftsyoga ist so ein Ort, wo man das Rad der Zeit anhält und sich auf das Wesentliche besinnt, was ganz wichtig ist, weil die Zeit eben so begrenzt ist. Wenn das Kind erst einmal da ist, ist es da.

evidero   Was genau ist der Unterschied zwischen Yoga und Pränatal Yoga?

Im normalen Yoga ist, zumindest bei Spirit Yoga, ein starker Kraftaspekt drin, um Gelassenheit auch in schwierigen Situationen zu üben und eine Widerstandskraft aufzubauen. Kraft und Hingabe stehen in einem relativ ausgewogenen Verhältnis. Dabei geht es nicht nur, aber auch, um die Stärkung der Muskulatur. Im regulären Yoga besteht ein starker Bezug zur Körper-Mitte und zur Rumpfmuskulatur, denn das bietet Halt und Stabilität.

Die “Mittelachse” hat in den normalen Yogakursen eine wichtige Bedeutung. Außerdem geht es darum, Druck abzulassen und Verkürzungen zu bearbeiten- dafür braucht es eine gewisse Reibung und auch Wärme. Der Körper werdender Mütter wird durch die hormonelle Umstellung sowieso durchlässiger. Da will man nicht noch übermäßigen dehnen, denn das erhöht nur die Verletzungsgefahr.

Im Pränatal Yogakurs wird die Frau bestmöglich durch die Zeit der Schwangerschaft begleitet und auf die Geburt vorbereitet. Im Schwangerschaftsyoga geht es darum, Raum und Weite zu erzeugen: Raum für das Kind, Raum für Atem, Raum für neues Leben und Raum für alle Veränderungen. Dafür ist es wichtig, weich zu werden, loslassen und geschehen lassen zu üben, weil man das tatsächlich für die Geburt braucht.

Ich wundere mich manchmal, dass Pränatal Yoga teils noch so unterrichtet wird, als ginge es um die Vorbereitung auf einen Marathon. Als ginge es darum, möglichst fit und kräftig zu sein, um dann die Geburt “durchzuziehen” zu können. Es geht meiner Meinung nach ganz im Gegenteil darum, sich hinzugeben, sich zu öffnen, loszulassen und zu entspannen. Es ist sehr berührend, wenn ein Kind nicht im Kampf, sondern in Liebe das Licht der Welt erblickt.

evidero   Das klingt jetzt auch für mich als Nicht-Schwangere ganz wunderbar: Können wir nicht alle mehr Schwangerschaftsyoga gebrauchen?

(lacht) In gewisser Weise ja. Mehr und mehr Menschen schätzen mittlerweile auch die sanfteren Yogaformen mehr. Vor zwölf Jahren, als ich Spirit Yoga eröffnet habe, hatte sich Yoga gerade aus der weichen Schafdecken-Eso-Ecke emanzipiert und in einer neuen Form den Zugang zu viel mehr Menschen gefunden: Yoga durfte kraftvoller und dynamischer sein und sogar auch sportliche Aspekte haben.

Heute, da wir vor allen in den Großstädten ständig Stress ausgesetzt und bis auf Kante ausgelastet sind, wird es immer attraktiver und auch wesentlicher, dem Entspannungsaspekt genügend Raum zu geben.

Und dennoch, ich finde diese kraftvolle Art der Vermittlung von Yoga weiterhin wichtig, weil sie uns hilft, erst mal wieder in Kontakt mit unserem Körper zu kommen. In der digitalen Welt verlieren Menschen immer mehr den Kontakt zu ihrem Körper und spüren sich nicht mehr richtig. Wenn man einen Großteil des Lebens auf Smartphones oder Computerbildschirme
guckt, dann macht das was mit der Körperlichkeit. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das auch auf die Geburt auswirkt.

Ich beobachte das an schwangeren Frauen: Viele trauen sich eine Geburt nicht zu. Das ist traurig, denn eigentlich liegt das Gebären können doch in der Natur der Frau. Oft sind die Frauen informierter und sehen sogar fit aus, aber insgeheim haben sie sich von ihrem Körper entfernt, auch wenn sie vielleicht Sport machen. Beim Sport geht es oft mehr um die Optimierung des äußeren Erscheinungsbildes, weniger um ein wohliges, gutes Körpergefühl.

Eine Geburt ist keine Kleinigkeit und doch ist es etwas natürliches. Wenn das Frauen so sehr ängstigt, dann ist das schade und es bedeutet eine echte Aufgabe für uns Yogalehrer, sie zu ihrem Körper und ihrem Selbstvertrauen zurückzuführen. In dieses Ur-Vertrauen, dass sie und ihr Baby das sehr wohl schaffen können.

Pränatal und Postnatal Yoga helfen vor und nach der Geburt

evidero   Ist Pränatal Yoga nur für Frauen gedacht? Oder dürfen die Väter auch mit üben?

Hin und wieder biete ich „Yoga für werdende Eltern“ an, damit sich auch die Männer im Hinblick auf die Geburt ein Bild machen können und dann können sie auch ihre Partnerinnen besser durch die Geburt coachen, weil sie dann besser verstehen, was es heißt, in die Intensität hineinzuatmen und loszulassen. Das üben wir mit den Vätern in kraftvollen Yogahaltungen.

Ich lasse sie dann zum Beispiel 30 Liegestütze machen und wenn die dann nach 10 Stück sagen ‘Ich kann nicht mehr’, dann sage ich, so ist es ungefähr, wenn eine Frau durch die Wehen geht. Ihr dürft jetzt nur nicht die Zähne zusammenbeißen und mit Gewalt dadurch gehen, weil sich dann eben der Muttermund nicht öffnen würde. Ihr müsst jetzt ganz langsam da hinein atmen und aber auch nicht aufhören, sondern in Gelassenheit standhalten – und dann verstehen die Männer, was das eigentlich für eine Herausforderung ist.

evidero   Wie kann Postnatal Yoga eine Mutter nach der Geburt unterstützen?

Postnatal Yoga ist ein sanfter Übergang, ein sicherer Schritt zurück in die reale Welt. Langsam raus aus der Verschmelzung mit dem Baby zurück zu Kontakt mit anderen, zurück zu sich selbst. Postnatal Yoga hilft systematisch, den Körper wieder in Form zu bringen und sich die Körpermitte zurück zu erobern.

Es geht aber nicht nur darum, die erschlaffte Bauch- und Beckenmuskulatur wieder zu stärken. Frisch gebackene Mütter fühlen sich oft weicher, wackelig, schutzlos und angreifbar. Mit Postnatal Yoga finden die Frauen zurück in ihr Zentrum und gewinnen wieder mehr Halt im Leben. Außerdem können durch gezielte Übungen die Verspannungen, die häufig nach einer Geburt in Schulter, Nacken, oberem und unterem Rücken auftreten, gelindert werden.

evidero   Du hast selbst zwei Kinder. Wie alt sind sie?

Meine Jungs sind jetzt 7 und 10 Jahre alt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Schwangerschaften und Geburten. (lacht)

evidero   Welche Veränderungen hast du während deiner Schwangerschaften an dir selbst wahrgenommen?

Kurz vor der ersten Schwangerschaft hatte ich gerade das erste Spirit Studio eröffnet und es war gewiss keine Kleinigkeit, so ein Yogastudio aufzubauen. Als ich schwanger wurde, war ich erst mal besorgt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ein Kind groß ziehen und gleichzeitig ein großes Studio führen sollte. Außerdem dachte ich damals, dass ohne genügend Strenge und ganz viel Disziplin nichts im Leben läuft.

Durch meine Kinder bin ich ein Stück gelassener geworden und ich habe gelernt, dass man ein Unternehmen auch ohne Eisenfaust führen kann. In der Schwangerschaft habe ich das allerdings alles noch gar nicht gemerkt. Erst rückblickend sehe ich das.

evidero   Hat sich umgekehrt auch deine Yogapraxis durch die Geburten deiner Kinder verändert?

Früher habe ich gedacht, ich muss das Kaninchen aus dem Hut zaubern und irgendwelche virtuosen Dinge können. Wenn ich nicht alles weiß und alles kann, dann werde ich doch meinem Namen nicht gerecht. Ich musste immer weiter, so als würde mein eigentliches Leben irgendwo in der Zukunft beginnen.

Heute bin ich mittendrin im Leben und ich bin dankbar für die eine Stunde Yoga, die ich mir am Tag gönne. Heute betrachte ich es als Geschenk, dass ich mich bewegen und spüren darf, Kraft tanken und entspannen kann. Und wenn ich jetzt eine Weiterbildung besuche, dann ist das mit erheblichem Aufwand verbunden. Mein gesamtes Netzwerk muss mich für ein paar Tage unterstützen. Weil ich es wichtig finde, weiter zu wachsen und zu lernen, ermögliche ich mir das hin und wieder und gerade weil ich weiß, was dran hängt, bin ich dann auch „fully on“.

evidero   Kannst du aus deiner Erfahrung heraus Frauen Mut machen, diesen Schritt zu gehen?

Ja, ich habe mich zum Beispiel relativ spät entschieden, Kinder zu bekommen. Mit 38 dachte ich, okay, wenn du dich jetzt nicht wenigstens der Option stellst, schwanger zu werden, dann wird es vielleicht in diesem Leben nichts mehr. Und wenn es dann sein soll und es passiert, dann schaffst du das schon irgendwie. Als es dann sofort beim ersten Versuch mit 38 und ein zweites Mal mit 41 geklappt hat, war ich eher erschrocken. Ich konnte mir so ein Leben mit Kindern so gar nicht vorstellen.

Alles hat sich gefunden und die beiden kleinen Kerle sind wirklich das Schönste in meinem Leben. Früher, vor den Kindern hatte ich eigentlich kein richtiges Leben. Da bin ich auf Schritt und Tritt meinem selbst konzipierten Lebensentwurf gefolgt. Heute bin ich mitten drin – heute gibt es Osterhasen, Fußball, Schaumküsse, Achterbahnfahrten, Hausaufgaben, Lagerfeuer…

Früher war Yoga mein Leben und alles andere wurde möglichst weit weg organsiert. Wow – ein echter Yogi – jemand, der nur dafür lebt. Interessant, dass viele Leute das bewundern – den Yogi in der Höhle oder die Yogameisterin, die fünf Stunden am Tag Yoga praktiziert, um dann weitere acht Stunden Yoga zu unterrichten. Ich halte das für realitätsfern. Die Kunst ist, inmitten dem Alltags den Spirit bewahren zu können.

evidero    Sind deine Kinder heute so etwas wie deine Yogameister?

Das sind sie definitiv. Sie bestätigen, was auch Ana Forrest sagt: “Walk your talk!” Kinder reagieren nicht auf das, was wir sagen, sondern auf das, was wir tun. Wenn ich zum Beispiel sage “Jetzt geht nicht immer ans Ipad” und dann aber selber alle Viertelstunde mein Iphone checke, muss ich mich nicht wundern.

Wenn ich es lasse, dann lassen sie es über kurz oder lang auch! Man kann so viel sabbeln wie man will, wenn man nicht konsequent handelt, dann ändert sich gar nichts. Mir ist das immer wieder eine gute Lehre.

evidero   Welchen Rat kannst du Frauen für die Zeit der Schwangerschaft mitgeben?

Kultiviere in der Schwangerschaft das Wahre, Gute und Schöne. Widme dich positiven Dingen. Frage dich, welche ersten prägenden Eindrücke du deinem Kind mitgeben möchtest. Das Leben deines Kindes beginnt nämlich nicht erst nach der Geburt – es hat bereits begonnen. Alles was du überlebst oder fühlst, erlebt dein Baby mit. Gib deinem Baby den bestmöglich Start!

evidero   Vielen Dank für das schöne Gespräch!

Patricia
Expertin: Patricia Thielemann
Patricia ist die Gründerin von Spirit Yoga. Sie hatte lange in Los Angeles Yoga unterrichtet, bevor sie 2004 nach Berlin zog und an prominenter Stelle ihr erstes Studio eröffnete.