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Glück in China: Sind Chinesen glücklicher?

In Europa setzt man vermehrt auf Akupunktur, Feng Shui, Qi Gong oder die TCM. Für uns bedeutet das Wellness pur - müssten die Chinesen da nicht ein sehr glückliches Volk sein?
von Inga Gebauer
Glückliche chinesische SchulkinderFoto: LI JIAN © picture alliance / landov

Was bedeutet Glück für die Chinesen? Das Land hat mit Qi Gong, Akupunktur und Feng Shui den Großteil der Philosophien, die bei uns als Mittel für mehr Wellness und Zufriedenheit gelten, hervorgebracht. Und als Land der unbegrenzten Glücksbringer, noch dazu mit rasantem Wirtschaftswachstum hat das Reich der Mitte eigentlich die besten Voraussetzungen zum Glücklich-Sein. Dennoch hat in China die kritische Frage nach dem glücklichen Leben gerade Hochkonjunktur. 

Werfen wir zuerst einen Blick auf die Glücks-Ideale in der chinesischen Philosophiegeschichte. Konfuzianismus und Daoismus waren sich ausnahmsweise einig: Maß und Mitte sind der richtige Weg zum Glück.

Der Konfuzianismus, der sich als Staatsphilosophie durchsetzte, strebte eine stabile Gesellschaft mit festen Hierarchien an, in der jeder seinen Platz kannte und sich seiner Rolle gemäß verhielt. Meister Kong ging es dabei um das große, harmonische Ganze. Das Individuum zog im Bedeutungs-Ranking mit Familie und Gesellschaft immer den Kürzeren.

Um die Zufriedenheit des Otto Normalverbrauchers kümmerte sich der Daoismus. Als „fünffaches Glück“ galten Langlebigkeit, Reichtum, Gesundheit, Gemütsruhe und Tugendhaftigkeit. Damit der Normalbürger diese Ziele auch erreichen konnte, haben daoistische Universalwissenschaftler eine ganze Reihe von Bewusstseinsmethoden und Gesundheitslehren entwickelt. Qi Gong, Feng Shui, die traditionelle chinesische Medizin (TCM) – sie alle beruhen auf den Grundannahmen dieser Philosophie: dem Einklang von Mensch und Natur, dem Leben in Einfachheit, dem Ausgleich von Energien und Interessen.

Geld allein macht nicht glücklich – auch nicht in China

China hat in den vergangenen Jahren ein fulminantes Wirtschaftswachstum hingelegt. Und auch die Lebenserwartung ist im Zuge der Modernisierung gestiegen. Reichtum und langes Leben sind also in greifbare Nähe gerückt. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb: Glücklicher sind die Chinesen nicht geworden.

Als ein chinesischer Staatssender die Menschen kürzlich in einer landesweiten Umfrage interviewte, ob sie denn glücklich seien, antworteten gut 70% mit einem beherzten Nein. Sie fanden den Reichtum in China ungerecht verteilt oder konnten sich nicht das leisten, was sie wünschten. Das Reich der Mitte hat seine Mitte verloren.

Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Richard A. Easterlin veröffentlichte kürzlich seine Studie zur Lebenszufriedenheit der Chinesen. Das Ergebnis bestätigt, was die Fernsehumfrage vermuten lässt: Seit 1990 hat sich das Pro-Kopf-Einkommen in China zweimal verdoppelt, die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben stagniert dagegen oder sinkt sogar. Wenn Menschen mehr verdienen, vergleichen sie ihr Einkommen eher mit anderen und ihre materiellen Ansprüche steigen. Das trübt das Glück des Mehrverdienstes.

Und: Geld allein macht nicht glücklich: Es mangelt an Sicherheit, für Rentner genauso wie für Arbeitslose und Kranke. Viele fühlen sich hilflos gegenüber der Staatsgewalt. Da werden Bauern enteignet, damit neue Industriegebiete errichtet werden können. Der größte Reichtum ist nichts wert, wenn er einem vom Staat genommen werden kann.

Noch nie hat es eine chinesische Stadt in die Top Ten der lebenswertesten Städte der Welt geschafft. Dafür führen sie regelmäßig die Listen der schmutzigste Metropolen und seit neuestem auch der teuersten Städte. Der Druck am Arbeitsplatz ist groß, die Umweltverschmutzung beeinträchtigt die Gesundheit. Die ausgefeilteste TCM-Therapie ist zweifelhaft, wenn der Ginseng pestizidverseucht ist.

Längst hat das übrigens auch die Regierung erkannt. Eine „harmonische Gesellschaft“ ist das neue Entwicklungsziel. Das Thema Glück statt Steigerung des Bruttosozialprodukts steht in China neuerdings ganz oben auf der Agenda. In mehr als 100 Lokalregierungen werden Beamte schon danach bewertet, wie gut sie ihren Job machen. Ausgleich statt Steigerung des Bruttosozialprodukts heißt das Motto.

Was bedeutet Glück überhaupt?

Das größte Problem, das die Chinesen mit dem Glück haben, ist vielleicht eine gewisse Orientierungslosigkeit. Die Frage „Sind Sie glücklich“ hört sich auf Chinesisch so ähnlich an, wie „Heißen Sie Fu mit Nachnahmen“? Einer der Befragten aus der Fernsehumfrage verstand genau das und antwortete: „Nein, ich heiße Zeng“. Prompt war eine neue Redewendung geboren: Auf die Frage nach dem Zufriedenheitsstaus antwortet man nun „Ich heiße ebenfalls Zeng“.

Das ist natürlich hauptsächlich beißende Ironie. Aber viele Chinesen sehen sich auch zum ersten Mal mit den Fragen „Was soll ich wünschen?“, „Was ist mein Lebensziel?“ „Was macht mich glücklich?“ konfrontiert. In China existiert keine Tradition des persönlichen Strebens nach Glück. Wenn man nie gelernt hat, Antworten auf diese Fragen zu haben, dann ist es schwer eigene Lebensentwürfe zu entwickeln.

Glaubt man den Statistiken, dann scheint in China der Wille, die eigenen Ideen umzusetzen, oder Zufriedenheit durch Selbstverwirklichung zu erreichen tatsächlich schwächer zu werden: Die Zahl der privaten Unternehmens-Neugründungen nimmt stetig ab. Stattdessen stehen Uni-Absolventen für einen sicheren, aber langweiligen Job in der staatlichen Verwaltung Schlange.

Welche Glückssymbole gibt es in China?

Besser als die Unwissenden sind die, die Bücher lesen; besser als diese sind die, die das Gelesene behalten; noch besser sind die, die es begreifen; am besten sind die, die an die Arbeit gehen.

Es gibt auch Positives zu berichten. Vor allem in den modernen Großstädten, wo Grundbedürfnisse gesichert sind und die Menschen mehr Freizeit haben, widmen sich Menschen dem eigenen Lebensglück. Auch in China gibt es Bio-Märkte, Entschleunigungs-Seminare und Aussteiger, die ihr Gemüse auf dem eigenen kleinen Bauernhof züchten. Viele besinnen sich ganz auf ihr Privatleben. Eine harmonische Beziehung, Kinder. Und zur Not hilft man dem persönlichen Glück eben mit einem Griff in die Glücksbringer-Kiste nach.

An mehr chinesischen Wohnungs-Türen denn je klebt das Schriftzeichen für Glück. Oder ein Paar Goldfische, denn das Zeichen für Fisch spricht man ähnlich aus wie das Wort „Reichtum“. Auch Zahlenmystik und Astrologie sind wieder auf dem Vormarsch: Nummernschilder mit möglichst vielen Achten werden für Millionen versteigert. Und viele haben mit dem Kinderkriegen auf das Jahr des Drachen gewartet, damit ihr Kind im Leben mehr Erfolg, Klugheit und Reichtum erreichen kann.

Autorin: Inga Gebauer
Inga Gebauer ist diplomierte China-Wissenschaftlerin und hat mehrere Jahre in der Volksrepublik gelebt und gearbeitet. Mittlerweile ist sie als freiberufliche Journalistin für verschiedene Medien zu den Themen Gesellschaft, Kultur und natürlich zu ihrem Schwerpunktland China tätig...