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Banken ohne Zinsen: Zinsfrei zum Eigenheim?

Was steckt wirklich hinter der Idee des Islamic Banking? Keine Schulden? Wen geht das außer Immobilieninteressenten etwas an und wieviel Islam braucht es dafür?
von Barbara Gayler
islamische Banken©C. BIBBY/Financial Times-REA/laif

Islamische Banken verheißen Unglaubliches. “Der Koran verbietet Zinsen”, “Zinsfrei nach der Scharia”, “Zinslose Scharia Banken als Alternative zum Kapitalismus”  – so titelt man von der FAZ bis zum manager magazin. Schlagzeilen, die unsere Blicke auf sich ziehen und jeden Häuslebauer träumen lassen. Doch was steckt wirklich hinter der Idee des Islamic Banking? Wen geht das außer Immobilieninteressenten etwas an? Und wieviel Islam braucht es dafür? evidero lüftet den Schleier …

Schon auf den zweiten Blick wird klar: Auch beim Islamic Banking verdient die Bank an uns – jedoch Schariakonform, d.h. im Einklang mit der muslimischen Rechtslehre. Das dürfte allerdings nur Muslime trösten. Diese Realität ist so ernüchternd wie vorhersehbar. Dennoch: Die Idee hat Potential, das weit über den ersten Bauabschnitt hinaus reicht. Doch der Reihe nach.

Bei islamischen Banken gibt es Planungs-Sicherheit und Transparenz – ohne Zinsen

Möchten Sie beispielsweise mit Hilfe einer Scharia-Bank ein Haus erwerben, kaufen Sie das Haus nicht mit von der Bank geliehenem Geld, sondern die Bank selbst kauft das Haus, um es Ihnen daraufhin mit Aufpreis zu verkaufen.  Theoretisch könnte auch ein anderer Investor die Rolle der Bank einnehmen.

Wichtig ist dabei: Sie zahlen dann dauerhaft in fest vereinbarten Raten zurück – und auch bei Zahlungsverzug wird kein Zins fällig. Ähnlich wie im konventionellen System baut die Bank vertragliche Sicherheiten ein, die sie vor zahlungsfaulen oder -unfähigen Geschäftspartnern schützen. Dies kann z.B. die Verpflichtung sein, an eine soziale Institution zu spenden.

Das ist wahre Transparenz und mehr, als jede klassische Bausparkasse leisten kann. Auf diese Weise haben alle Beteiligten ein grundsätzliches Gebot der Scharia eingehalten: Geld darf nicht mit Geld verdient werden. Sprich: Zinsen sind verboten. „Murabaha” heißt das Ganze.

Wie finanzieren sich zinsfreie Banken?

Einfach so geschenkt wird Ihnen auch beim Islamic Banking nichts. Auch hier steckt gesunder Geschäftssinn dahinter, der Sie letztendlich dafür bezahlen lässt, dass Sie nicht flüssig sind. Aber es geht nicht nur um Ihre kurzfristige Liquidität, der Investor geht mit diesem Geschäft auch ein weitreichendes Risiko ein, das er sich von Ihnen bezahlen lässt, z. B. bei einem beliebigen Wertverfall der Immobilie oder wenn ein Käufer mal abspringt.

Fakt ist allerdings: der Vergleich mit dem klassischen Zinsmodell, der häufig gemacht wird, hinkt, denn man hat in der Scharia-Variante einen fixen Preis, der völlig unabhängig ist von der Laufzeit-  und damit sind alle Unwägbarkeiten in ihrer Finanzierung vom Tisch.

Beteiligungsfinanzierung statt Verschuldung

Aber es würde dem Islamic Banking nicht gerecht werden, sich nur auf die Frage zu versteifen, ob wir “Murabaha” unterm Strich als ethisch-moralisch verpacktes “Zinsgeschäft” bezeichnen. Ein Scharia-gerechtes  Wirtschaftsmodell hat weitaus mehr interessante Aspekte, die für die Finanzwelt wegweisend sein könnten – gerade in den jetzigen Krisenzeiten:

Für Hatem Imran, Director of Business Development bei einem IT Unternehmen und Autor des Buches “Das islamische Wirtschaftssystem: Normen und Prinzipien einer alternativen Ökonomie”, spiegelt das vielzitierte Dreiecksgeschäft zwischen Haus-Besitzer, Bank und endgültigem Käufer bei weitem nicht die Essenz der Wirtschaftsidee wider, die Gott im Koran empfiehlt.  Für ihn sind solche Bankgeschäfte eher “eine Technisierung von Transaktionen, um diese Scharia-gerecht zu gestalten”.

Hatem Imran sieht ein größeres Potential: Für ihn ist eine Beteiligungsfinanzierung die weitaus bessere Variante, dem göttlichen Gebot entsprechend zu wirtschaften: man investiert gemeinsam z.B. in ein Haus, und wer nicht selbst dort wohnt, bekommt entsprechend seines Eigenanteils Miete von den anderen. Alle tragen ihr Risiko, falls das Haus schimmeln sollte oder zusammenbricht. Und jeder kann nur das verlieren, was er besitzt; Verschuldung ist damit ausgeschlossen. Unternehmertum statt Geldgeschäft – das ist die Devise.

Und solche Beteiligungsfinanzierungen gibt es in vielen Varianten, mit Banken und/oder auch mit Privatleuten.

Für islamische Banken sind Spekulationen verboten

Jedem Islam-konformen Geschäft liegt, neben der Zinsfreiheit, eine zweite entscheidende Idee zugrunde: jeder Transfer von Geld muss sich auf ein reales Gut beziehen. Spekulationsgeschäfte sind tabu; man kann und darf nichts verkaufen, was man nicht besitzt oder was nicht existiert.

Und hier öffnet sich die elementare Kluft zu den globalen deregulierten Märkten und all den Krisen der letzten Jahre und Monate … Denn die Finanz-Scharia urteilt konsequent: Handel mit Schuldpapieren: negativ! Gewinne – und dementsprechend Verluste – auf der Basis bloßer Annahmen: nein! Geldanlagen in Aktien oder Aktienfonds, also in reale Werte, dagegen: gerne!

Allerdings dürfen sie nicht den Grundsätzen des Islam widersprechen, wie im Falle von Glücksspiel, Rüstung, Tabak, Pornographie, Alkohol und Schweinefleisch. Damit ist die Airline, die Alkohol ausschenkt schon außen vor. Auch Versicherungen sollten nach der reinen Lehre nach dem Genossenschaftsprinzip gestaltet werden, das heißt, die reine Risikominimierung zum Ziel haben – statt der Gewinnmaximierung des Versicherers.

Alles eine Glaubensfrage?

Was wirklich “halal”, also erlaubt, und was “haram” verboten ist, entscheiden religiöse Berater, die den Koran entsprechend auslegen. Ein einheitlicher Kodex fehlt – wie überall können sich natürlich auch hier “schwarze Schafe” verstecken, die die Ideale des Systems verraten. Derartige Widersprüche zwischen ursprünglicher Glaubenslehre und Realität sind allerdings in allen Religionen überall auf der Welt sichtbar.

Sind zinsfreie islamische Banken eine gute Alternative?

Das Prinzip der Gewinn- und Verlustteilung und die Beschränkung auf Investitionen in die Realwirtschaft hat die islamischen Banken letztlich zum Gewinner der Finanzkrise gemacht – darin ist sich die Fachwelt einig. Ob und welche Konsequenz daraus gezogen wird, dürfen wir ja jetzt erleben.

Der Deutsch-Iraker und Finanzexperte Imran sieht das islamische Wirtschaftssystem als einen Schlüssel zu einer gerechteren, nachhaltigen und funktionierenden Wirtschaft. Für ihn ist der Zins das polarisierendste und damit gefährlichste Instrument, das unser Finanzsystem auszeichnet. Nur wer genug Kapital hat, kann Geld verleihen – und damit wieder neues anhäufen. Damit ist die Kluft zwischen arm und reich programmiert. Und sie wird immer größer.

Aber: “Auch Islamic Finance ist kein automatischer Segensbringer, der jedem Eigenheim und Porsche verspricht. Es gibt arm und reich, und wer arm ist, der kann z.B. keinen Kredit zurückzahlen oder großartig investieren, sondern ist auf Mildtätigkeit oder staatliche Fürsorge angewiesen.“, so Imran.

Es kommt letztlich darauf an, die Verschuldung zu verhindern, die den ohnehin wirtschaftlich Benachteiligten nur noch tiefer in seine Abhängigkeit stürzt – Staaten wie Personen. Die Mittel und Wege dafür gibt es eindeutig. Von der Türkei über Dubai bis Malaysia – auch in den meisten islamischen Ländern wird heute nicht nach den Gesetzen der Scharia gewirtschaftet.

Dass aber eine Wirtschaft, die nicht auf realen Transaktionen beruht, verwundbarer ist, hat die Finanzkrise überdeutlich gezeigt. Islamische Banken bieten die Möglichkeit, neue Wege zu gehen. Seit 1999 gibt es zwei islamische Market Indices, vergleichbar Dow Jones und DAX: DJIM (Dow Jones Islamic Market) und FTSE nehmen nur Firmen auf, die auf Scharia-Kompatibilität geprüft wurden. Ein Schuldenniveau von maximal 33% und das Fernhalten von unschicklichen Investitionen, Spekulationsgeschäften und Zinsgeschäften soll das Risiko in Grenzen halten.

Entstanden erst im letzten Drittel des 20.Jahrhunderts, erntet das Prinzip des Islamic Banking immer mehr Aufmerksamkeit, auch im Westen. Der Trend geht zum Schariaschalter! Ob in New York, London, Paris oder Mannheim, überall versucht man, Scharia-gerechte Ideen und Produkte zu entwickeln.

Aber mal eben lässt sich ein anderes Banksystem nicht auf Deutschland übertragen: so fiele z.B. bei einem Hauskauf via Scharia-Bank zwei mal die Grunderwerbssteuer an – ein enormer Wettbewerbsnachteil. Die erste Islam-Bank Deutschlands in Mannheim versucht deshalb, mit der deutschen Finanzaufsichtsbehörde eine Regelung finden; in Frankreich und Großbritannien z.B. hat man für islamgerechte Transaktionen steuerliche Sonderregelungen entwickelt.

Reale Werte schaffen statt Spekulationen

Möglichkeiten für Investitionen in entsprechende Produkte gibt es, ein Beispiel: man kann in europäisches Edelholz investieren. Der Anleger erwirbt kein Finanzprodukt, sondern “hartes” Edelholz, das in den Pflanzungen wächst. Selbst Rücklagen werden in Edelholz-Pflanzungen investiert. Für den Anleger kommt Wachstum von “Wachsen” – naturgegeben und nachhaltig. Aber auch hier gilt wie bei jeder Anlageentscheidung – Nullrisiko gibt es nicht.

Die Ideen des Islamic Banking sind weiß Gott nicht neu, und das Leitbild für menschenfreundliches Wirtschaften findet sich analog in jüdischen und christlichen Quellen – nur hat es sich eben meist nicht durchgesetzt. “Viele Sozialreformer, viele andere Lehren bieten seit Jahrtausenden an, von weisen Regeln Gebrauch zu machen, doch der Mensch ist aufgrund seiner Struktur – seiner Gier und Egozentrik –  vielleicht noch nicht bereit, sich dieser Regeln zu bedienen” , erklärt Hatem Imran die Blindheit der globalen Gesellschaft für ein verantwortungsvolles Finanzsystem. Zudem haben finanzstarke Profiteure kaum Interesse an einer Veränderung.

Heutzutage kommen die Gedanken zu besserem Wirtschaften aus den unterschiedlichsten Kreisen, auch mitten aus dem Volk: “Die Occupy-Bewegung hat das Zeug für einen Paradigmenwechsel. Wünschenswert wäre, dass die Gier des schnellen Geldes durch eine Islamic Banking konforme, eine zukunftsorientierte Wirtschaftsweise, welche auch die Bedürfnisse kommender Generationen einbezieht abgelöst wird. Ein solches System wäre durchaus wettbewerbsfähig, wenn es von einer Mehrheit getragen wird. “

Ökonom Imran sieht die Möglichkeit zum Wandel durchaus pragmatisch: „Man kann das Thema auch völlig vom Religiösen loslösen, es soll die beste Idee gewinnen. Dabei spielt es doch keine Rolle, aus welchem Club das kommt oder wer der Autor ist. Aber falls man von Gott oder Allah als Schöpfer der Universen überzeugt ist, ist es schlüssig, von ihm empfohlene wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten zumindest zu überprüfen.“

An guten Ideen und Parallelen mangelt es also nicht, trotzdem steckt das Islamic Banking noch in den Kinderschuhen. Aber als Vorbild macht es eine gute Figur. Laut einer aktuellen Bertelsmann-Umfrage sind 89% der Deutschen der Meinung, dass wir ein neues Wirtschaftssystem brauchen. Jeder kann jetzt sein ganz eigenes Micro-Islamic-Banking System verwirklichen. Wenn nicht als Glaubender, dann eben als Wissender.

Autorin: Barbara Gayler
Barbara Gayler, Jahrgang 1966, studierte Ethnologie und Romanistik in Köln. Nach mehreren Auslandsaufenthalten und einjähriger Tätigkeit in der Medienforschung war Barbara Gayler von 1997 bis 2009 bei einem Kölner Privatsender festangestellt...