Ich hatte einen Plan: Yoga machen beziehungsweise ausprobieren. Nein, das stimmt nicht ganz. Eigentlich wollte ich mich weniger gestresst fühlen, meine Rückenschmerzen und Verspannungskopfschmerzen reduzieren und meine Kondition verbessern. Über Yoga wusste ich so gut wie nichts, außer dass es gut tun soll.
Aber es gab da noch eine große Hemmschwelle zwischen mir und der Yoga-Praxis: meine Gehbehinderung, mit nur etwa zehn Prozent Muskelkraft in der rechten Hüfte und im rechten Bein, mit einer Orthese von der rechten Hüfte abwärts, die ich nur maximal 90 Grad beugen kann, Beckenschiefstand, Skoliose. Kann Yoga auch dann funktionieren? Und wenn ja, wie?
Behinderungen müssen kein Hindernis sein – Barrierefreiheit ist auch (!) eine Einstellungssache
Diese Fragen waren bereits seit Jahren in meinem Kopf herumgegeistert, bis in meiner Nachbarschaft ein Yoga-Studio öffnete und ich dies als Zeichen sah, das Ganze aktiv anzugehen. Seit meiner Kindheit, in der ich auf Bäume kletterte, Fußball spielte und Rollschuhe fuhr (alles mit Orthese), weiß ich, dass nichts unmöglich ist. Das klingt plakativ, ist aber wahr!
Die Frage ist nur, wie man die Dinge abwandelt, sodass der eigene Körper damit zurecht kommt. Tatsächlich hat mich meine Behinderung seit frühester Kindheit gelehrt, mir meine Welt sehr kreativ zu gestalten. Warum also nicht auch beim Yoga?
Aber ganz ehrlich: die Angst, den Großteil der Yoga-Stunde doof rumzusitzen, weil ich die Asanas nicht mitmachen kann, war da. Also rief ich vor meinem ersten Besuch in besagtem Studio an und fragte ganz offen, ob auch ich grundsätzlich Yoga machen könnte.
Ich hatte Glück: Die Lehrerin war sehr offen und sagte, dass ich es einfach probieren solle, wir würden schon Variationen und Abwandlungen finden bei Stellungen, die nicht gingen. Leider haben nicht alle Yogainteressierte mit körperlichen Einschränkungen dieses Glück und werden oft in Yoga-Studios abgewiesen. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.
Flexible Abwandlungen von Asanas ermöglichen barrierefreies Yoga
So saß ich dann das erste Mal auf der Matte. Lotussitz zu Beginn der Session: ging nicht. Also streckte ich mein rechtes Orthesen-Bein einfach zur Seite aus. Vinyasa-Sonnengruß: ging nicht. Also stellte ich mich ans hintere Ende der Matte und lief mit den Händen nach vorne anstatt in Chaturanga zu springen. Krieger 1: ging nicht. Also blieb ich mit dem hinteren Knie am Boden und fand so zu einer stabilen Aufrichtung im Oberkörper.
Ich war selbst überrascht, wie leicht mir die Abwandlungen als völliger Yoga-Neuling fielen. Sobald ich merkte, dass eine Stellung für mich nicht funktionierte – oft bereits beim Vorführen durch die Yogalehrerin – hatte ich sofort Ideen, wie ich die Asana ändern kann, ohne eine komplett andere Stellung auszuführen. Das Erfolgserlebnis war unglaublich!
Die Wirkungen dieser ersten Yoga-Stunde konnte ich noch am Folgetag spüren. Ich war fast sprachlos, wie man sich von 90 Minuten Praxis plötzlich so ruhig, entspannt und gleichzeitig aufgerichtet und gestärkt fühlen konnte. Ich war infiziert!
Ich bin Yogalehrerin mit körperlicher Behinderung
Nur wenige Wochen später begann ich, die Yoga-Praxis in meine tägliche Morgenroutine zu integrieren, mit erstaunlichen Ergebnissen: Meine Rücken- und Kopfschmerzen haben sich deutlich reduziert, ich fühlte mich weniger gestresst, ich stellte meine Ernährung um und war grundsätzlich fitter und energiegeladener. Ein Jahr später begann ich meine Yogalehrer-Ausbildung und wiederum ein Jahr später unterrichtete ich selbst Yoga-Kurse – für Menschen mit körperlichen Einschränkungen.
Nach mittlerweile vielen hunderten von Yoga-Stunden werde ich aber diese allererste niemals vergessen. Selten im Leben stand ich an einer Weggabelung und wusste so hundertprozentig, welchen der vor mir liegenden Pfade ich nehmen soll. Und nie habe ich es bereut, den Yoga-Weg eingeschlagen zu haben.
Praxisbeispiele zu Variationsmöglichkeiten von Asanas
Es gibt abertausende von Asanas und mindestens genauso viele Variationen. Nachfolgend gebe ich einen kurzen Einblick, wie drei der populärsten Yoga-Stellungen beispielhaft abgewandelt werden können. Den Variationsmöglichkeiten sind aber quasi keine Grenzen gesetzt. Im Fokus stehen immer diese Fragen: Ist die Asana bequem und stabil? Kann sie sicher und ohne Schmerzen ausgeführt werden? Und natürlich: Werden die Ziele und Wirkungen der Asana erreicht?
Vorwärtsbeuge („Paschimothasana)
Für viele Menschen ist es unbequem, mit ausgestreckten Beinen aufrecht am Boden zu sitzen. Du kannst dir für diese Ausgangsposition der Vorwärtsbeuge ein Kissen unter dein Gesäß und/oder unter die Knie legen, falls dich der Oberkörper und das Becken zu sehr nach hinten ziehen und es dir schwer fällt, die Wirbelsäule in dieser Position aufzurichten. Alternativ kannst du die Asana auch auf einem Stuhl sitzend oder stehend ausführen, indem du dich mit dem Oberkörper nach vorne und unten beugst.
Kobra („Bhujangasana“)
Wenn du die Kobra nicht am Boden ausführen möchtest oder kannst, funktioniert diese auch wunderbar im Sitzen oder Stehen. Setze dich auf die vordere Kante eines stabilen Stuhls, ohne dich anzulehnen und platziere deine Hände genau vor den Schultern, sodass deine Handflächen nach vorne zeigen. Die Ellenbogen sind dicht am Oberkörper, ziehe die Schulterblätter aktiv zusammen und die Schultern weit weg von den Ohren. Nun neige dich mit geradem Oberkörper nach vorne, sodass du in eine Schräge kommst und so mit den Rückenmuskeln noch stärker arbeiten musst. Wichtig ist, dass die Wirbelsäule möglichst gerade bleibt.
Alternativ kannst du dich dicht vor eine Wand stellen, die Hände genau vor deinen Schultern an der Wand platzieren und das Brustbein, die Schultern und die Halswirbelsäule in eine leichte Rückbeuge bringen, sodass du dich im oberen Rumpf von der Wand wegbewegst.
Dreieck („Trikonasana“)
Sollte dir die Ausführung von Trikonasana im freien Raum zu unsicher und instabil sein, kannst du dich mit dem Rücken nahe zu einer Wand stellen, sodass du jederzeit die Sicherheit hast, dich an der Wand halten zu können. Auch ein Stuhl kann hierbei ein gutes Hilfsmittel sein. So kannst du den unteren Arm statt an deinem Bein auch auf einem Stuhl abstützen – je nachdem wie tief du in der Bewegung kommst entweder auf der Sitzfläche oder der Rückenlehne.
Wenn du die Asana im Sitzen machen möchtest, platziere einen Stuhl oder einen Yoga-Block rechts von dir und stütze dich bei der Seitneigung nach rechts auf dem Stuhl bzw. Block ab, während der linke Arme dicht am Ohr nach schräg rechts oben zieht. Und dann natürlich auch mit der anderen Seite entsprechend verfahren.