Social Media, Unterhaltungsspiele, Musik- und Video-Streaming: Das Internet und die digitalen Medien bieten eine Menge Möglichkeiten zur Zerstreuung und Ablenkung. Wir sind fast immer online und im Geiste selten da, wo wir uns tatsächlich aufhalten. Dabei entfremden wir uns von uns und unseren Mitmenschen, warnt Max Strom, international bekannter Speaker und Autor des Buches „There is no App to Happiness“ (Es gibt keine App zum Glück).
Smartphones machen unglücklich
Lieber Max, warum gibt es keine App zum Glück?
Ich glaube, es gibt keine App, die uns dauerhaft glücklich machen kann. Es ist ziemlich offensichtlich, dass wir auf der tiefsten Ebene von menschlicher Erfüllung völlig überschätzen, was die Technologie für uns tun kann.
Wir alle haben heute beispielsweise Smartphones, mit denen wir Dinge erledigen können, von denen wir vor zwanzig Jahren noch nicht einmal geträumt hätten. Wir behaupten, dass sie unsere Fähigkeit zu kommunizieren verbessern. Ist das denn wirklich wahr? Wir stehen im ständigen Austausch, das ist richtig. Aber hat die Smartphone Technologie die Qualität der Kommunikation verbessert? Hat sie unsere Beziehung zueinander verbessert?
In meinem Buch zeige ich den Zusammenhang zwischen dem raketenhaften Wachstum von Social Media und Informationstechnologie und dem gleichzeitigen Niedergang der Zufriedenheit und des persönlichen Glücksgefühls des Einzelnen, was man an dem aktuellen hohen Gebrauch von psychischer Medikation in der industriellen Welt ablesen kann. Unsere Gesellschaft ist wohlhabend, reich an Unterhaltung – und unglücklich. In meinem Buch erkläre ich einfache und effektive Techniken, um diese Entwicklung umzukehren.
Inwiefern beeinflusst die digitale Welt unser Leben?
Wir beginnen gerade erst, uns bewusst zu werden, dass da etwas um uns herum passiert, aber wir können das noch nicht richtig einschätzen. Gesellschaftlich betrachtet haben wir in unserem Versuch, uns mehr zu vernetzen und verbinden, gerade zwei Schritte zurück gemacht: Wir ziehen die unpersönliche Text-Kommunikation dem persönlichen Kontakt vor. Wir haben uns sehr schnell in eine zerstreute Gesellschaft verwandelt, die auf Unterhaltung durch Flatscreens fokussiert ist.
In unserem täglichen Leben und Erleben hat sich das Informationszeitalter als Entertainment-Zeitalter entpuppt und es scheint so, als ob wir schon jetzt nicht mehr unterscheiden könnten zwischen Zerstreuung und Leben. Die Möglichkeiten uns abzulenken nehmen zu – was aber leider nicht im gleichen Maß wächst, ist unser Glück.
Tatsächlich wird seit einigen Jahren wieder sehr viel über das Wesen des Glücks gesprochen, weil es offensichtlich immer schwerer zu greifen ist. Trotz aller wunderlichen Neuerungen, die in unser Leben getreten sind, zeigen Statistiken, dass wir weitaus weniger glücklich als noch vor zwanzig Jahren sind. Von New York über London bis Peking: Wir sind die reichsten Länder der Welt und gleichzeitig kämpfen wir mit Depressionen, Angst- und Schlafstörungen.
Was macht wirklich glücklich?
Was macht uns denn nun wirklich glücklich?
Nach meiner Definition ist Glück, einen tieferen Sinn im Leben zu sehen und diese Bedeutung jeden Tag aufs Neue zu erfahren. Normalerweise suchen wir als junge Menschen eher nach Vergnügen und glauben, dass darin das Glück liegen würde. Die meisten entdecken dann früher oder später, dass Vergnügen alleine nicht ausreicht. Es ist wichtig und wundervoll, Spaß zu haben, aber es nährt nicht dauerhaft unsere Seele.
Irgendwann suchen wir dann nach etwas anderem, etwas tiefergehendem. Wir glauben dann, dass wir eine Bedeutung, einen Sinn für unser Leben und Sein finden müssen. Plötzlich sind wir sogar bereit, etwas von dem Vergnügen aufzugeben, um unserem Leben eine Bedeutung zu geben.
Menschen arbeiten beispielsweise ehrenamtlich, wenn sie an die Sache glauben: Sinn hat keinen Preis und Menschen würden für ein sinnvolles Leben sogar alles andere aufgeben. Andererseits kann sich ein Leben ohne Sinn anfühlen, als ob man nur noch existiere, einfach nur anwesend sein würde, während das wahre Leben an einem vorbeirauscht.
Das meine ich mit meiner Worterfindung „Nah-Lebenserfahrung“: Der Begriff ist eine Anspielung auf die Vorstellung, dass man auf dem Sterbebett liegend auf sein Leben zurückblickt und feststellt, dass man Gelegenheit über Gelegenheit hat vorüberziehen lassen, seinem Leben einen wahren Sinn zu geben, eine wahre Liebe zu leben, ein tief spirituelles Leben zu führen. Das wäre in meinen Augen ein vergeudetes Leben. Eine Horrorvorstellung. Ich persönlich strebe jeden Tag danach, meinem Leben eine Bedeutung zu geben.
Was können wir für unser Glück tun?
Es gibt drei Imperative oder drei Arten des Umgangs, die du in dein Leben integrieren kannst, um deine persönliche Entwicklung zu beschleunigen. Ich spreche bewusst von einer Beschleunigung, weil es genau darum geht. Anstatt darauf zu warten, was das Leben dir an zufälligen Gelegenheiten bietet, um etwas über dich zu lernen, kannst du dich bewusst für einen Umgang entscheiden, der jetzt sofort einen großen Einfluss auf deine Entwicklung haben wird.
Ich nenne sie Imperative, weil ich wirklich daran glaube, dass du die Welt nicht ändern kannst, ohne dich selbst zu ändern. Dir steht eine innere Technologie zur Verfügung, um deine persönliche Wiedergeburt zu erwirken, doch du musst diese Techniken einsetzen.
Der erste Imperativ: Werde dir deiner selbst bewusst
Bis du dich selbst wirklich kennst, wirst du dich ewig im Kreis drehen. Das bedeutet, dass du einen Weg finden musst, um mehr über dich zu lernen: Deine Stärken und Schwächen und deine „blinden Flecken“. Stelle dir ein Programm zusammen, das dir ermöglicht, in Kontakt mit deinem Körper, deinem Geist und deiner Seele zu kommen.
Der zweite Imperativ: Lebe so, als ob deine Zeit und dein Leben dasselbe wären
Die Redewendung Zeit „killen“ macht es deutlich: Wir wertschätzen das Leben, aber nicht unsere Zeit. Wir verplempern unsere Zeit und damit unser Leben, indem wir Videospiele spielen und Fernsehen schauen und entdecken jeden Tag eine neue Art des Entertainments, der Unterhaltung.
Das ist neu für unsere Gesellschaft: Niemals zuvor hatten wir mehr Möglichkeiten, den großen Wert unserer Lebenszeit zu ignorieren. Du kannst dich stattdessen für ein Leben voller Bedeutung, Wissen, Liebe und Schönheit entscheiden.
Der dritte Imperativ: Integriere ein Glücks-Ritual in deinen Tagesablauf
Entwickle ein tägliches Ritual, das dich heilt und dir Kraft spendet und übe es jeden Tag für eine Stunde. Atemübungen sind der Schlüssel. Wenn du mit Angst zu kämpfen hast oder nicht gut schläfst, dann wird eine regelmäßige Atemübung das ändern. Schon 15 Minuten pro Tag werden eine riesigen Unterschied machen. Doch sobald du dich mit ganzem Herzen entscheidest, eine Stunde täglich sanfte Yoga- oder Qi Gong-Übungen, die mit dem Atem verbunden sind, zu machen, wirst du nicht nur körperlich fit, sondern auch emotional gesund werden.
Mein persönliches Programm besteht darin, mich jeden Tag zu zentrieren und mein inneres Gleichgewicht zu finden. Ich übe seit zwanzig Jahren Yoga und Qi Gong und unterrichte weltweit seit zehn Jahren meine Methode “Innere Achse”. Der Name steht für die innere Balance, die uns das tägliche Üben beschert.
Der richtige Umgang mit digitalen Medien
Was empfiehlst du im Umgang mit den digitalen Medien?
Ich bin tatsächlich für den Gebrauch von Technologien. Das heißt aber nicht, dass wir alles an Technologie jederzeit brauchen und jede Neuerung nutzen sollten. Nur weil etwas neu ist, ist es nicht unbedingt besser. Gerade, weil wir dauernd mit neuen Entscheidungen und neuen Versionen alter Entscheidungen konfrontiert werden und uns davon völlig vereinnahmen lassen, sollten wir sehr genau auswählen, was wir unserem Leben hinzufügen und was wir lieber aussparen sollten.
Technologien können ein ganz tolles Werkzeug sein, um dazu zu lernen und uns zu entwickeln, doch wir müssen darauf achten, dass der Inhalt dessen, was wir lernen, uns auch wirklich einen Mehrwert für unser Leben bringt. Und zwar nicht nur zu unserer Unterhaltung.
Wenn wir Tonaufnahmen von unseren Gesprächen mit anderen machen würden, könnten wir unsere Beziehungen verbessern. Wenn wir Video-Aufnahmen von uns im Umgang mit anderen machen würden, könnten wir unser Verhalten verbessern und ungesunde, zerstörerische Gewohnheiten abstellen.
Aber Menschen machen selten „Selfies“, wenn sie wütend oder traurig oder Angst-erfüllt sind. Liebespaare nehmen ihre Auseinandersetzungen nicht auf. Doch all das sollten wir tun: Wir könnten ganz schnell so vieles über uns lernen, dass es Gold wert wäre.
Deine Vision für die Zukunft?
Ich glaube, dass täglich so viele Nachrichten auf uns herein prasseln, dass wir die wahren, großen Geschichten unserer Zeit oft gar nicht mitbekommen und uns nicht wirklich bewusst sind, wohin die Reise der globalen Gesellschaft geht.
Wir sollten uns natürlich mit Nachrichten beschäftigen, doch uns zunächst einmal klar machen, was tatsächlich wertvolle Nachrichten sind: Nicht nur die aktuellste Tragödie, ein Brand, ein Hurricane oder politische Auseinandersetzungen. Wir müssen globaler denken und uns informieren: Was passiert denn gerade auf der Welt? Wir sollten filtern und auswählen, womit wir uns beschäftigen und sicher stellen, genau wie beim Essen, dass das, was wir aufnehmen und verarbeiten, von größtmöglicher Qualität ist.
Große Denker der Weltgeschichte haben bereits Lösungen für viele der Probleme gefunden, mit denen wir uns heute wieder konfrontiert sehen. Das Altertum hatte einige technologisch sehr fortschrittliche Zivilisationen: Das römische Reich zum Beispiel. Die Menschen damals haben so vieles erschaffen und benötigten noch nicht einmal Elektrizität dafür.
Deren Techniken haben sich in hunderten und tausenden von Jahren entwickelt. Wir könnten so viel aus dem Altertum lernen. Wir könnten die Techniken übernehmen, die einen viel weniger negativen Einfluss auf unseren Planeten haben und diese mit den modernen Technologien ergänzen und erweitern. Ich glaube fest daran, dass ein Mix aus alten und neuen Technologien eine utopische Welt erschaffen könnte.
Danke für das Gespräch