Zur Zeit des New Yorker Börsencrashs 1929 und der Weltwirtschaftskrise machte sich in der Schweiz ein ganz besonderes Wir-Gefühl breit. Auch bei den Eidgenossen kamen die Folgen der Krise an: Zu wenig Arbeit, zu große Armut und die Wirtschaft auf Talfahrt. Viele Schweizer horteten ihr Geld, aus Angst, es könnten noch schlechtere Zeiten kommen. Dieses Geld fehlte dann aber im Wirtschaftskreislauf. 1934 schafft sich die „WIR Wirtschaftsring-Genossenschaft“ in Basel eine eigene Währung, den WIR (CHW)
Der WIR ist ein zinsloses, komplementäres Währungssystem aus der Schweiz, 1934 gegründet von und für kleine und mittelständische Unternehmen. Das Konzept des WIR-Systems basiert auf einer Währung, bei der es wegen der Zinslosigkeit unattraktiv ist, Gewinne zu sparen, sondern aufgrund des Kaufkraftverlustes attraktiv, diese auszugeben und den Markt in Bewegung zu halten.
Heute bilden fast 60.000 KMU ein Netzwerk, in dem Geschäfte in WIR oder in Kombination mit Schweizer Franken stattfinden. Die WIR-Kredite bieten dem Kreditnehmer zusätzliche Liquidität und über den WIR Markt eine sichere Platzierungsmöglichkeit.
Um die Finanzgeschäfte der Kunden zu vereinfachen und als Teil der Öffnungs- und Diversifikationsstrategie der WIR Bank besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, kombinierte WIR-/ Franken-Kredite zu bekommen, Franken zu sparen und weitere Anlageprodukte zu erhalten. Rasmus Elsner traf Hervé Dubois, den Pressesprecher der WIR Bank in Basel.
Wie funktioniert eine alternative Währung?
Was genau ist eigentlich der CHW, der Schweizer WIR Franken?

Der WIR ist ein bargeldloses Zahlungsmittel. Von Anfang an hat es ihn nie in Papierform gegeben. Es geht also nicht darum, den Schweizer Franken zu ersetzen, sondern es ging immer darum, eine ergänzende, eben komplementäre Wirtschaft zum Schweizer Franken zu haben.
WIR und Franken werden eins zu eins gerechnet und ein WIR Teilnehmer arbeitet in erster Linie mit Schweizer Franken, denn unsere Volkswirtschaft ist in Schweizer Franken aufgebaut. Der WIR Teil soll ihm zusätzliche Geschäfte ermöglichen, es ist also ein Zusatz zum normalen Geschäft.
Wie funktioniert der WIR, wie ist er entstanden?
1934, zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise war klar: Man muss eine Währung schaffen, bei der das Horten gar nicht attraktiv ist, im Gegenteil es soll unattraktiv sein! Man erfand also eine Währung, bei der es keine Zinsen gibt. Eine zinslose Währung nach der Freigeldtheorie von Silvio Gesell.
Wenn ich WIR-Guthaben habe, bin ich nicht interessiert dieses zu horten! Ich habe null Prozent Zins und verliere die Kaufkraft mit der Zeit. Ich bin also interessiert dieses WIR-Geld wieder in den Markt zu bringen und entsprechend kann dieser Markt eine gewisse Dynamik erreichen.
Als Genossenschaft gegründet, wurde daraus schnell eine Bank – warum?
Die Gründer betrachteten sich nicht als Bank. Ihnen ging es damals um die Probleme innerhalb der schweizerischen Volkswirtschaft, die sie auf ihre Weise lösen wollten. Der WIR-Wirtschaftsring war ausschließlich im WIR-Bereich tätig und in diesem Sinn verstand man sich auch in den 1950/1960er Jahren nicht als Bank, sondern höchstens als Zentralbank, welche die Geldmenge innerhalb dieses Marktes zu kontrollieren hatte – mehr nicht.
Trotzdem wurde der Wirtschaftsring 1936, also zwei Jahre nach der Gründung bereits zu einer Bank, da ihm eine Banklizenz aufgedrängt wurde. Es gefiel weder den Wirtschaftsverbänden noch dem Staat, dass etwas völlig Neues im Entstehen begriffen war, und wie konnten die Behörden den Wirtschaftsring kontrollieren? Indem aus dem Ring eine Bank wurde, die dem schweizerischen Bankengesetz und damit der Kontrolle der Schweizer Bankenkommission unterstellt war.
Das WIR-System setzt sich aus der Verrechnung und Krediten zusammen
Wie funktioniert die Mitgliedschaft im WIR-System?
Für den WIR-Teilnehmer sind es zwei Pfeiler. Auf der einen Seite die klassische WIR-Verrechnung, auf der anderen Seite das Geschäft mit den WIR-Krediten. Wer mit dem WIR arbeitet, nutzt ein Netzwerk von zurzeit fast 60.000 kleinen und mittleren Unternehmen – das sind ungefähr ein Fünftel der Schweizer KMU. Das Netzwerk an sich ist ein Vorteil, die andere Seite sind die WIR-Kredite, die von Definition her sehr tiefe Zinsen haben. So komme ich als Mitglied oder als Teilnehmer in diesem System an sehr preiswerte Investitions- und Hypotheken-Kredite.
Und es gibt noch einen dritten Vorteil, im WIR-Jargon nennen wir das „Vorplatzieren“, das heißt, ich schreibe einen Auftrag in der Gemeinschaft aus oder ich suche frühzeitig einen WIR- Abnehmer, der wiederum sucht sich seine Abnehmer ebenfalls im System und findet eine WIR-Platzierungsmöglichkeit – wir haben eigene, kleine Kreisläufe.
WIR-Kredite sind der Motor dieser WIR-Volkswirtschaft, es ist eine kleine Volkswirtschaft – so wie es eine große wäre mit Krediten in Schweizer Franken. Für die WIR-Bank selber hat es den Vorteil, dass – obwohl die Zinsen sehr klein sind – Zinsen in Schweizer Franken zu zahlen sind.
Wie kann man das notwendige Vertrauen in so eine „kleine Volkswirtschaft“ aufbauen?
Das Vertrauen spielt natürlich eine Rolle und wer in so einem System das Zielpublikum ist. Hat man eine bestimmte Zielgruppe, nämlich die kleinen und mittleren Unternehmen, die sogenannten KMU, ist Vertrauen wichtig. Man ist untereinander. Man ist KMU, man ist nicht Großbetrieb, man ist nicht Multi, man ist nicht Discounter, sondern man hat Gemeinsamkeiten.
Auch wenn man von ganz verschiedenen Branchen kommt, ist eine gewisse Gemeinsamkeit da und führt dazu, dass man auf ein ähnliches Ziel hinarbeiten will und muss. Wenn man miteinander Geschäfte tätigt, entsteht Vertrauen.
Die Bank dient der Gemeinschaft, nicht der Gewinnmaximierung?
Wir sind eine Genossenschaft, wir waren es immer und wir werden es auch bleiben. Die WIR-Bank versteht sich seit über 70 Jahren als Bank des Mittelstandes, sowohl für Privat- als auch für Firmenkunden. Entsprechend haben wir nie den Shareholder Value in den Vordergrund gestellt, sondern immer den Stakeholder Value. Sie versteht sich in erster Linie als Organisator der WIR-Verrechnung und damit als Support der KMU.
In unseren Statuten steht klar geschrieben, dass unsere erste, wichtigste und zentralste Aufgabe die Unterstützung und Förderung der KMU in der Schweiz ist. Für die Bank bedeutet das Gewinnoptimierung und nicht Gewinnmaximierung. Man kann nicht so idealistisch sein, dass man sagt, ich will keinen Gewinn machen, denn sonst gäbe es uns bald nicht mehr.
Wir müssen auf der Schweizer Franken-Seite wettbewerbsfähig bleiben, müssen unsere 200 Angestellten, unsere Infrastruktur und unsere Entwicklungen in Schweizer Franken bezahlen. Wir müssen Gewinn machen können, es geht aber nicht um Gewinnmaximierung, wie das bei anderen Gesellschaften der Fall ist.“
Die WIR-Bank bietet ein Netzwerk für Unternehmer
Wie finden sich WIR-Geschäftspartner in diesem geschlossenen Markt?
Dazu gibt es den virtuellen Markt, also das Internet, dazu Messen, Publikationen, etc. Es gibt Teilnehmerverzeichnisse, die auf unserer Homepage abzurufen sind und so können sich die Teilnehmer überregional finden. Manchmal wissen WIR-Teilnehmer nicht, ob ein möglicher Geschäftspartner überhaupt mit WIR arbeitet und dann kann er im Verzeichnis nachschauen, ob er Mitglied ist. So finden sich auch – und das erklärt wieder eine gewisse Dynamik diese Marktes – Käufer und Verkäufer, die sonst nie zusammengekommen wären.
Sind WIR-Geschäfte solider, sicherer und vielleicht sogar rezessionsunabhängiger als Geschäfte mit Schweizer Franken?
Im WIR-System haben wir festgestellt, dass sich ein antizyklisches Verhalten einstellt. Solange die Auftragsbücher voll sind, ist der WIR-Teilnehmer nicht abhängig von der WIR-Verrechnung. Wenn man in eine Rezession hinein schlittert, werden die Auftragsbücher leerer und der WIR-Verrechner bekommt einen Vorteil: Er wird sich vermehrt auf den WIR-Markt konzentrieren und gewisse Lücken im WIR-Markt füllen können. Er wird weniger abhängig sein und die Rezession trifft ihn nicht so stark.
Wir haben in den 90er Jahren klar gesehen, dass Tausende von Kleinstunternehmen untergegangen wären, wenn sie nicht gleichzeitig mit WIR gearbeitet hätten. Es reicht jedoch nicht, wenn man am Anfang der Rezession sagt, ich schalte jetzt zusätzlich noch in den WIR-Markt rein. Da wird am Anfang wahrscheinlich nicht viel passieren.
Man muss während der guten Jahre den Weg vorbereiten und sein Netz aufbauen, damit man in schlechten Jahren darauf zurückgreifen kann. Der Gemeinschaftsgedanke des WIR spielt dabei sicherlich eine Rolle. Wir haben es ja mit Klein- und Mittelunternehmen zu tun und in diesem System ist jeder Käufer und Verkäufer.
Es ist ein typisches B2B – ein Geschäft unter Geschäftsleuten – das hier entstanden ist. Da sind ja keine Laien im Markt, sondern Geschäftsleute und die wollen ihre Partner zuerst kennenlernen. Sie wollen wissen, ob er seriös ist, zu anständigen Preisen arbeitet und ob die Arbeitsbedingungen fair sind, bevor man eine längerfristige Zusammenarbeit eingeht. Solidarität und das Vertrauen, das dadurch entsteht, muss aufgebaut werden.
Ist die Wirtschaftskraft der WIR Gemeinschaft mit Zahlen belegbar?
Was wir beziffern können, ist der WIR-Umsatz – also der Umsatz, den die WIR-Teilnehmer untereinander machen – das der in den letzten Jahren stabil bei 1,6 Milliarden WIR Franken geblieben ist. Wenn man in Betracht zieht, dass die Geschäfte im Durchschnitt zwischen 20 bis 30 Prozent in WIR getätigt werden, induziert der WIR-Markt die Schweizer Volkswirtschaft mit etwa 4-5 Milliarden Schweizer Franken.
Warum hat sich die Bank ab dem Jahr 2000 dem Geschäft mit dem Schweizer Franken geöffnet, ist das nicht gegen „reine Lehre“?
Die WIR Bank hat in den 90er Jahren die ersten Schritte Richtung Schweizer Franken gemacht, zuerst im Zahlungsverkehr, dann im Kreditwesen und schließlich bei den Kundengeldern. Die WIR-Bank musste kundenfreundlicher werden, man musste beide Währungen bei uns abwickeln können. Also hat man begonnen, die Zahlungsmittel zu kombinieren, damit unsere Kunden sowohl in Schweizer Franken als auch in WIR ihre Rechnungen bezahlen können.
Bei den Krediten war es dasselbe – sie mussten zu ihrer Hausbank für den Schweizer Franken Kredit und nochmals zu uns für den WIR-Kredit Anteil. Das war nicht praktisch und wenig effizient. Wir haben damit begonnen, Kredite auch in Schweizer Franken zu vergeben, damit ein Kreditnehmer nur einen Ansprechpartner braucht.
Dann war der nächste Schritt eigentlich ziemlich logisch: Die Kredite, die wir in Schweizer Franken vergeben, mussten wir als ganz kleiner Player auf dem Finanzmarkt aufnehmen und das natürlich nicht zu den besten Konditionen. Es kam dann also der Gedanke, wir könnten diese in Form von Kundengeldern einnehmen und unseren Kunden weitergeben in Form von Krediten.
Darum bieten wir heute auch Vorsorge- und Anlageprodukte in Franken an. Wir haben uns aber unserer Philosophie entsprechend darauf beschränkt, sehr einfache und unkomplizierte Produkte anzubieten. Wir sind es nicht und werden wohl auch nie eine Universalbank werden.
Die Fragen stellte: Rasmus Elsner