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Rätselhaftes Bienensterben: So klein, so wichtig – Wenn sie sterben, sterben wir auch

Kaum ein Mensch macht sich Gedanken darüber, was das Aussterben der Bienen für uns bedeuten würde. Bienen sehen wir als Nutztiere für die Honigproduktion, doch sie sind viel mehr als das. Denn sie sichern das Überleben des Planeten.
Hans Ulrich Grimm
von Dr. Hans-Ulrich Grimm
Gefahr für Bienen: Chemikalien© KittyKat - Fotolia.com

So beliebt, wie der Kinderstar Biene Maja ist, so gleichgültig sind wir ihren lebenden Verwandten gegenüber. Dabei sollten wir uns wirklich um die Bienen kümmern, denn ihre Bedeutung für ein gesundes Ökosystem ist nicht zu unterschätzen. Im heutigen Ausschnitt aus dem Buch “Die Fleischlüge” von Dr. Hans-Ulrich Grimm geht es darum, wie wir die Bienen umbringen – langsam, aber stetig.

Hans Ulrich Grimm
Experte: Dr. Hans-Ulrich Grimm
Dr. Hans-Ulrich Grimm ist Journalist und Autor, er lebt in Stuttgart.
So richtig traurig ist er natürlich nicht, wenn eine von ihnen nicht heimkehrt, schließlich ist er Wissenschaftler. Aber es treibt ihn schon um, wenn das Gift ihnen so zusetzt, dass sie die Orientierung verlieren, wilde Pirouetten fliegen und alle Navigationskünste schwinden.

Deshalb sitzt er jetzt hier in der Sonne, an einem kleinen Tischchen am Rande eines Feldes und schickt seine Bienen los, während sich ein paar hundert Meter weiter hinten das Radar dreht und ihren Flug registriert. Über ein Funkgerät ist Professor Randolf Menzel mit Stefan Walter verbunden, einem seiner Studenten. Der sitzt in einer kleinen Hütte und kann wie ein Fluglotse auf einem Monitor die Route der Bienen verfolgen.

Das Walkie-Talkie krächzt. »Gelb 164 fliegt los.« Stefan schaut auf den Monitor: »Sie fliegt jetzt auf Weg 2 nach Norden.« Hinter der Hütte steht der Bienenstock, davor sitzt noch ein Kollege, der durchgibt, welche Bienen ankommen – oder eben nicht.

Das Bienensterben ist ein globales Problem

Dr. Wei Wang ist Agrarbiologe, er kommt aus China, und auch dort ist es, wie überall auf der Welt, ein großes Thema, wenn Bienen verschwinden. »Es ist ein globales Problem«, sagt Dr. Wang.

Immer wieder kommt es vor, dass eine der Bienen auf dem Bildschirm plötzlich nicht mehr zu sehen ist. Und Stefan eine traurige Mitteilung übers Walkie-Talkie senden muss: »Das Signal ist weg. Die ist verschwunden.«

Mit den Versuchen soll erforscht werden, woran es liegt, dass immer mehr Bienen auf der Welt zugrunde gehen. Deshalb sitzt Professor Menzel an seinem Tischchen, vor sich ein kleines Tintenfass, Pelikan Plaka-Farbe Gelb 11, und einen Pinsel, mit dem markiert er die Bienen. Manchmal ist es auch eine andere Farbe, je nach Versuchseinheit. Dazu gibt er Zuckerwasser in ein kleines Plastikschälchen, an dem sich die Bienen laben, als ob es Blüten wären. Damit simuliert er sozusagen den Zustand ohne Chemie und sieht, wie sich die Bienen da verhalten.

Der Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft gefährdet die Umwelt

Manchmal gibt er auch ein bisschen Gift ins Schälchen, wie es die Farmer auf der ganzen Welt einsetzen, von BASF oder Syngenta, den großen Agrochemie-Firmen. »Die Menge ist genau an das angepasst, was die Bienen sonst im Rapsfeld aufnehmen«, sagt der Professor: »Die Insektizide wirken direkt auf die Gehirnprozesse der Bienen.«

Randolf Menzel ist einer der weltweit renommiertesten Bienenforscher, er lehrt an der Freien Universität Berlin, veröffentlicht in den wichtigsten Journalen seiner Disziplin, auch in Nature, dem führenden Wissenschaftsorgan weltweit.

Es geht ihm dabei natürlich nicht nur um die Bienen. Sondern auch um die Menschen, überhaupt das Leben auf dem Planeten. Und um die Risiken des Einsatzes von Chemie in der Landwirtschaft, in der Tierindustrie, bei der Nahrungsmittelproduktion.

Die Bienen können dem Menschen sozusagen etwas erzählen über die Folgen von synthetischen Substanzen auf das Leben. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sieht das globale Bienensterben denn auch als ein »Symptom einer krankenden industriellen Landwirtschaft«.

Bienen als Frühwarnsystem eines geschädigten Ökosystems

Die Bienen sind die Kundschafter, sie bilden ein Frühwarnsystem. Und nicht nur das: Sie haben auch einen wichtigen Platz in der Nahrungskette des Menschen, und wenn sie desorientiert ausfallen, dann hat das Auswirkungen auf das Angebot auf den Märkten und in den Supermärkten.

Schließlich wirkt die Biene bei der Nahrungsversorgung mit, durch ihren Bestäubungsbeitrag bei Äpfeln, Birnen, Erdbeeren. Und wenn der plötzlich fehlt oder nur sehr gering ausfällt, hat das Folgen.

Die Biene ist sozusagen ein Indikator-Organismus, um zu zeigen, wie die Chemie, die doch eigentlich die Nahrungsversorgung sichern will, das Leben und die Gesundheit bedroht. Die Forscher belegen sehr detailliert, wie die eingesetzten Substanzen aus der Toolbox der Agrarkonzerne im Körper wirken, vor allem im Gehirn.

Und zwar nicht nur in dem der Biene. Auch beim Menschen wirken viele der Chemikalien, die wir aus Umwelt und Nahrung aufnehmen, auf die grauen Zellen. Die Rückstände von Pflanzenschutzgiften, aber mehr noch all jene Substanzen, die der Nahrung absichtlich beigesetzt werden, als Zusatzstoffe.

Denn viele der tierischen Nahrungsmittel, die jetzt in Verruf geraten sind, werden auch – manche sogar: vor allem – wegen der chemischen Ingredienzien zum Problem. Schuld an den Gesundheitsrisiken ist mithin nicht die Kuh oder das Schwein, sondern die Industrie, die auf der Basis tierischer Rohstoffe völlig neue Waren produziert – mit Hilfe chemischer Zutaten.

Die Tierindustrie macht uns krank – Egal ob Fleisch oder Milch

Zur Tierindustrie, die uns krank macht, gehören also nicht nur die Tierfabriken, Schlachthöfe, Molkereien. Sondern auch die Produktionsstätten von Big Food, mit ihren Labors samt Ingenieuren, Chemikern, Produktdesignern. Sie alle gestalten tierische Produkte, die gar nicht direkt vom Tier stammen, sondern in Wahrheit erst durch menschlichen Erfindergeist möglich werden.

Und dazu zählen viele der tierischen Waren aus den Supermarktregalen: zum Beispiel die Müllermilch oder Dany Sahne, und der Landliebe Fruchtjoghurt. Auch die Sushi-Röllchen aus dem Supermarkt, und die Wurst sowieso.

Dabei geht es zum einen um die Haltbarkeit, zum anderen aber auch um Produktdesign. Tierische Lebensmittel verderben ja sehr schnell, die Milch zum Beispiel, auch Fleisch und Fisch. Mit den traditionellen Methoden, die Haltbarkeit zu verlängern, wird dann Salami daraus, oder Käse oder Trockenfisch. Alles eher uncool. Mit Chemie ist da sehr viel mehr möglich. Farblich, geschmacklich, auch gestalterisch. Da hält dann auch das Sahnehäubchen auf dem Supermarktdessert noch wundersam lange.

Nur: Die chemischen Substanzen, die all das möglich machen, sind nicht unbedingt das Allerbeste für einen natürlichen Organismus wie den menschlichen Körper. Die Wissenschaftler finden immer überzeugendere Nachweise, dass die Gesundheitsprobleme bei den Erzeugnissen der Tierindustrie noch verschärft werden durch diese chemischen Zusätze in der Wurst, im Käse, in Sahne und im Fruchtjoghurt.

Eigentlich gelten sie als unbedenklich – aber mittlerweile werden sie in solchen Mengen verzehrt, dass die Mediziner deutliche Zusammenhänge sehen zwischen diesen Zusatzstoffen und den großen Zivilisationsleiden wie Herzkrankheiten, der Zuckerkrankheit, bis hin zu Krebs. Dick machen sie zudem. Und sie spielen eine Rolle bei den sogenannten neurogenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Morbus Parkinson.

Denn viele der Zusätze wirken direkt auf das Gehirn, die Süßstoffe zum Beispiel und die Geschmacksverstärker. Und das Gehirn ist ein sehr sensibles Organ.

Chemie verändert das Gehirn – Bei Bienen und beim Menschen

Auch darauf weist die Biene den Menschen hin, wenn sie bei ihrem Schwänzeltanz, ihrem Mitteilungsmedium, neuerdings etwas aus dem Tritt gerät. »No proper waggle dance?« Wörtlich heißt das: Wackeltanz. Die Bienenforscher sagen: Schwänzeltanz.

Es ist eine weitreichende Frage, die der Professor da stellt. Denn der Tanz ist für die Bienen kein Freizeitvergnügen. Bei den Bienen ist der Tanz das wichtigste Kommunikationsmedium. Und da wirkt es sehr verhängnisvoll, wenn der nicht mehr ordentlich (»proper«) aufs Parkett gelegt wird, sozusagen. Mit dem Schwänzeltanz zeigen die heimkehrenden Bienen ihren Kolleginnen an, wo die süßesten Blüten sind. Sie können aber auch Missmut äußern: Mittels Schütteltanz, wenn sie feststellen müssen, dass ihre Kolleginnen faul herumsitzen. Mittels Zittertanz mahnen sie dann zur Eile bei der Nektarverarbeitung.

Die Bienen werden krank, der Honig wird ungesund

Und jetzt geraten sie aus dem Takt – durch die Gifte, die auf Äckern, Plantagen und in Gärten versprüht werden. Schon finden sich die Gifte auch im Produkt der Biene, dem Honig. Der gilt, wiewohl zuckersüß, eigentlich als akzeptabel, als das »geringere Übel«, sogar bei Zuckerkritikern wie dem amerikanischen Professor Robert Lustig. Der meint, Honig sei »zwar nicht perfekt«, aber immer noch»besser als Zucker«.

Nur bei Menschen mit einer sogenannten Fruktosemalabsorption steht der Honig auf dem Index. Denn: Er enthält auch Fruktose, Fruchtzucker. Der galt bis vor kurzem als ausnehmend gesund, wurde dann aber als besonders problematische Form des Zuckers erkannt (siehe Hans-Ulrich Grimm: »Garantiert gesundheitsgefährdend«).

Immer wieder finden sich Rückstände im Honig, von Pestiziden oder einem Antibiotikum namens Streptomycin. 2013 beispielsweise berichtete das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Karlsruhe über »hohe Streptomycin-Gehalte« (250–2500 Mikrogramm pro Kilogramm) im Honig.

Im schweizerischen Kanton Thurgau mussten 2011 sogar rund 7,5 Tonnen Honig vernichtet werden. Dort waren in 68 von 436 Proben Rückstände des Antibiotikums nachgewiesen worden. Es kommt aus Obstplantagen, wird dort gegen den Feuerbrand eingesetzt bei Äpfeln, Birnen, Quitten. Und die Bienen sammeln das natürlich mit.

In chinesischem Honig fand sich vor allem das Antibiotikum Chloramphenicol. Die Einfuhr wurde daraufhin vorübergehend verboten, mittlerweile ist sie wieder erlaubt.

Auch natürliche Gifte nehmen die Bienen auf, Pyrrolizidin-Alkaloide beispielsweise, die aus einer Pflanze stammen, dem Jakobs-Kreuzkraut. Im Mai 2015 nahmen Imker aus dem ostholsteinischen Eutin freiwillig ihren Honig aus dem Handel, weil er zu viel davon enthielt. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung hatte schon 2011 den »Vielverzehrern« von Honig – Menschen, die jeden Tag im Schnitt 17 Gramm Honig essen – zur Vorsicht geraten; damals vor allem wegen belasteter Proben aus Süd- und Mittelamerika.

Das Naturprodukt Honig leidet auch unter der Genmanipulation

Honig enthält bisweilen aber auch Stoffe, die ganz und gar nicht natürlich sind. Spuren der Gentechnik beispielsweise, etwa aus Monsantos Gen-Mais Mon810. »Honig ist ein Naturprodukt. Die Honigbereitung im Bienenstock findet heute jedoch in einem Umfeld statt, das alles andere als natürlich ist«, klagte die Zeitschrift ÖKO-TEST.

In jedem zweiten Honig waren die Tester 2014 auf Rückstände von Pflanzengiften gestoßen, zweimal sogar über dem Grenzwert. Ein Lidl-Glas enthielt Spuren von Monsantos »Roundup Ready Soja«, ebenso ein Edeka-»Gut&Günstig«- Honig. Ebenfalls betroffen waren ein Produkt von Langnese und Honige von Aldi Nord und Süd.

Im gleichen Jahr berichteten US-Forscher im Journal of Environmental & Analytical Toxicology über Glyphosat-Rückstände in Honig. Der Roundup-Ready-Wirkstoff wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft – und zählt zu jenen Giften, die den Bienen das Gehirn vernebeln und ihr Navigationsvermögen stören.

Mehr Gift auf den Feldern, weniger Honig von den Bienen

Gifte sind allgegenwärtig auf den Feldern und Plantagen, in denen die Bienen herumschwirren. Und sie können nicht nur dazu führen, dass sich Rückstände im Honig finden. Sie können auch dazu führen, dass es viel weniger Honig gibt – oder gar keinen mehr. Aber nicht nur Honig, auch andere Lebensmittel könnten knapp werden, wenn es weniger Bienen gibt.

Wenn die Bienen desorientiert nicht mehr nach Hause finden, ist das zunächst für die Königin und ihren Staat prekär. Schließlich sind es die Sammlerinnen, die die anderen Bienen mit Nahrung versorgen. Wenn zentrale Funktionsträger ausfallen, sorgt das natürlich für Unruhe im Staate der Bienen.

Die Aufgaben müssen notfallmäßig umverteilt, Posten anders besetzt, Karrieren neu geplant werden. »Wenn plötzlich nicht mehr alle von den Sammelbienen zurückkommen, ist das eine riskante Geschichte«, sagt Professor Menzel.

Denn eigentlich ist alles perfekt organisiert im Bienenstock: Es gibt neben der Königin den Hofstaat, mit den Mundschenks, die die Königin mit Gelée royale füttern, es gibt Lageristinnen, die die Honigvorräte verstauen, dazu Baubienen, die für die Waben zuständig sind, nicht zu vergessen die Security draußen am Eingang.

Es gibt sogar eine Karriere von der Gelée-royale-Produzentin zur Sammelbiene, die draußen aus den Blüten den Pollen holt. Wenn dann plötzlich zehn Prozent der Bevölkerung ausfallen, ist das ein harter Schlag.

Was passiert mit einem Bienenvolk, wenn viele Sammelbienen sterben?

Nicht zuletzt für die Königin, sagt Professor Menzel: »Sie merkt natürlich, dass die Volkdichte geringer ist.« Wie reagiert die dann? Menzel: »Zur Deckung des Nahrungsbedarfs müssen die jungen Bienen im Umfeld der Königin schneller zu Sammelbienen werden.«

Auf Befehl Ihrer Majestät? Menzel: »Nein, die Bienen teilen sich alle selbst zur Arbeit ein. Die Jungen würden merken, dass weniger zurückkommen, und deshalb würden einige von ihnen, die bisher im Innendienst gearbeitet haben, sozusagen zum Außendienst, zu den Sammelbienen wechseln.«

Das Leben in der Bienen-Demokratie

Das ist auch eine von den neuen Erkenntnissen, dass die Königin in Wahrheit keine Monarchin mit absoluter Macht ist, sondern eher das Oberhaupt einer »Bienendemokratie«, wie der US-amerikanische Biologe und Verhaltensforscher Thomas D. Seeley meint: Es sei ein »Missverständnis«, dass das Bienenvolk von »Ihrer Majestät, der Königin« regiert werde.

»Die Königin ist nicht die oberste Entscheidungsinstanz, sondern der oberste Eierproduzent.« Im Sommer legt sie Tag für Tag 1500 Eier. Und für die Brut muss natürlich genügend Nahrung bereitstehen. Wenn nun mehr Pollensammlerinnen gebraucht werden, weil viele von ihnen pestizidvernebelt nicht mehr heimkehren von ihren Dienstreisen, dann wird es einsamer um die Königin.

Die Zofen sind ausgeflogen, tun inzwischen Dienst an der Blüte. »Wenn die Zone um die Königin herum nicht mehr so voll besetzt ist«, sagt Professor Menzel, weil der Hofstaat ausgedünnt ist, dann »merkt sie das. Und versteht es als Signal, dass sie jetzt weniger Eier legen soll.«

Aber ganz so machtlos, wie es scheint, ist die Königin in der »Bienendemokratie« auch wieder nicht. Sie kann ganz subtil eingreifen, sagt Professor Menzel: »Sie kann mit Pheromonen, Duftstoffen, die sie aussendet, das Verhalten der Tiere um sie herum manipulieren.«

In ihrem Sinne? Menzel: »Genau. Damit sie genügend ernährt wird, okkupiert sie sozusagen diese jungen Bienen für sich und hindert sie daran, in ein interessantes Leben umzuschwenken, draußen in der Natur Neues kennenzulernen. Die müssen dann bei ihr bleiben, jedenfalls befristet. Und nur durch ihren Reifeprozess emanzipieren sie sich von der Kontrolle der Königin.«

Wenn die Biene stirbt, stirbt auch der Mensch

Heute herrscht immer häufiger Notstand im Staat der Bienen. Weltweit forschen Wissenschaftler nach den Auslösern für das als Bienenvolk-Kollaps (»Colony Collapse Disorder«, kurz CCD) bekannte globale Massensterben.

»Bei den Bienen passiert weltweit etwas, das wir kaum verstehen«, sagt der Würzburger Bienenforscher Jürgen Tautz und fügt hinzu: »Das Bienensterben wird in seinen Konsequenzen und in seiner Dimension nach wie vor unterschätzt.«

Die Entwicklung bereitet auch den Lebensmittelaufsehern von der europäischen Überwachungsbehörde Efsa Sorgen: »In Anbetracht der Bedeutung von Bienen für das Ökosystem und die Nahrungskette sowie im Hinblick auf die vielfältigen Dienste, die sie für den Menschen erbringen, ist ihr Schutz unbedingt erforderlich.«

Von den 109 wichtigsten Kulturpflanzen sind immerhin 87 (oder 80 Prozent) von tierischen Bestäubern abhängig. Dazu zählen: Apfel, Birne, Erdbeere, Mandel, Tomate, Melone. Wenn die Biene stirbt, stirbt auch der Mensch. Zu beklagen wären 1,4 Millionen zusätzliche Todesfälle im Jahr. Das jedenfalls hat ein Team um den Harvard-Forscher Samuel Myers ausgerechnet.

Wenn die Bienen vollständig ausstürben und ihre Bestäubungskollegen von Hummel bis Kolibri dazu, dann ginge die weltweite Ernte rapide zurück, bei Gemüse um 16 Prozent, bei Nüssen und Saaten um 22 Prozent und bei Obst sogar um 23 Prozent. Wenn es aber gerade am Gesunden fehlt, an Vitaminen und Nährstoffen, dann ist vermehrt mit Krankheitsfällen zu rechnen, so das Szenario, das 2015 im Medizinjournal The Lancet veröffentlicht wurde.

Die Bienenvölker vermindern sich massiv

In Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch 2,5 Millionen Bienenvölker, 2010 waren es nur noch 750 000. In manchen Regionen der Schweiz haben bis zu 50 Prozent der Völker den Winter 2011/2012 nicht überlebt. Nach einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) ist das Bienensterben ein globales Problem.

Bienen sterben in Japan, China, Ägypten. Seit 1985 sind in Großbritannien 54 Prozent der Bienen verschwunden. Pro Winter waren es in manchen Weltgegenden bis zu 20 Prozent. In den USA wurden allein im Winter 2007/2008 mehr als ein Drittel aller kommerziell genutzten Honigbienen dahingerafft.

Was tötet die Bienen?

Die Hintergründe sind bis heute noch nicht vollständig geklärt. Als Verdächtige gelten: die Varroamilbe, auch Viren sowie Bakterien, Pilze und eben Pestizide. Auch der Klimawandel. Oder auch ganz schlicht: Nahrungsmangel, durch Monokulturen beispielsweise.

Und schließlich könnten die Bienenzüchter selbst ein bisschen schuld sein an dem Drama: Denn sie haben ihre summenden Lieblinge immer mehr auf zahm gezüchtet – und damit auch deren Abwehrkräfte gegen die Widrigkeiten des Lebens geschwächt. Darüber hinaus könnte eine gestörte Eiweißproduktion die Bienen anfälliger machen.

Pestizide verursachen ein dramatisches Bienensterben

Vermutlich spielen viele Gründe eine Rolle. Ganz wesentlich dabei aber sind wohl: die Gifte. »Die Symptome wiesen von Beginn an auf eine Vergiftung hin«, schrieb das Stuttgarter Agrarministerium in einem Bericht über ein dramatisches Bienensterben, bei dem 2008 am Oberrhein 330 Millionen Bienen in 11.500 Bienenvölkern starben.

Unter Verdacht stand damals ein ganz spezielles Gift, so der Befund des deutschen Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut). Es sei »eindeutig davon auszugehen, dass Clothianidin hauptsächlich für den Tod der Bienen vor allem in Teilen Baden-Württembergs verantwortlich« ist.

Clothianidin ist ein erst 2006 zugelassenes Insektizid aus der Gruppe der Neonicotinoide. Es soll die Pflanzen unter anderem vor dem Maiswurzelbohrer schützen, wird von der Firma Bayer CropScience hergestellt, gehört zu den Verkaufshits der Agrarchemie-Konzerne, mit einem Marktanteil von 25 Prozent – und begegnet entsprechend den Bienen.

Damals am Oberrhein war das Gift in einem sogenannten Beizmittel enthalten, gedacht für den Mais. Das Mittel Poncho Pro des Herstellers Bayer sollte zusammen mit einem Haftmittel auf die Samen aufgetragen werden und mit der Maisaussaat direkt in den Boden gelangen. So weit die Theorie.

Doch dann wurde der Wirkstoff verweht und von Bienen aufgenommen, die kurz darauf in Massen starben. Die Behörden hatten eigentlich in der Umgebung von Maisäckern mit einer Konzentration von Clothianidin gerechnet, die einem Verhältnis von ein bis drei Milligramm pro Kilogramm entspricht. Tatsächlich waren es teilweise mehr als hundertmal so viel: In der Gegend von Freiburg lag der Wert für Apfelblüten und Raps zwischen 87,1 und 94,4 und bei Apfelblüten im südbadischen Emmendingen sogar bei 113.

Das Gehirn der Bienen leidet unter Insektiziden

Ein massiver Angriff auf das Gehirn der Bienen. »Insektizide der neuen Generation, unter ihnen Clothianidin und Imidacloprid, wirken spezifisch auf das Nervensystem der Tiere, wo sie kognitive Fähigkeiten wie das Lernvermögen beeinträchtigen«, schreibt die Bienenforscherin Judith Reinhard von der Universität von Queensland in Australien.

Wenn eine Biene damit in Kontakt kommt, »kommt sie möglicherweise nicht mehr zum Stock zurück, weil sie nicht mehr richtig fliegen kann oder weil ihr Erinnerungs- und Orientierungsvermögen beeinträchtigt ist«. Das könnte wiederum auch die »rätselhafte Tatsache« erklären, dass ganze Bienenvölker eingehen, ohne dass »massenhaft tote Bienen in der Nähe gefunden« werden: Die sind einfach unterwegs irgendwo abgestürzt, gestorben und von Ameisen gefressen worden.

Chemikalien beeinträchtigen den wichtigen Bienentanz

Das Gift kann nicht nur das Navigationssystem der Biene beeinträchtigen, sondern auch dazu führen, dass die Biene den Schwänzeltanz nicht mehr beherrscht. Entdeckt hat diese Kommunikation durch Tänze der Bienenforscher Karl von Frisch (1886–1982), lange Zeit Professor für Zoologie an der Universität München. 1973 erhielt er dafür sogar den Nobelpreis.

Durch die Bewegungen ihres Hinterteils können Bienen ihren Kolleginnen signalisieren, wo sie einen besonders üppig blühenden Apfelbaum finden; die Ausrichtung des Popos zeigt dabei die Richtung an, die sie auf ihrem Flug einschlagen sollen, die Dauer der Tanzvorführung die Entfernung zum Baum und die Intensität der Tanzbewegungen die zu erwartenden Erträge. Wenn die Fähigkeit zum Tanz gestört oder beeinträchtigt wird, erzählen die Bienen ihren Kolleginnen sozusagen wirres Zeug, und die finden dann niemals die süßesten Blüten.

Deshalb hat Professor Menzel den Kollegen Wang auch nach dem »waggle dance«, dem Tanzverhalten, gefragt. »Die Tanzkommunikation«, sagt Menzel, »wird durch Neonicotinoide gestört.« Und zwar schon in ganz geringen Mengen.

Ähnliches fand das französische Forschungszentrum CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) heraus. Auch die amerikanische Harvard School of Public Health ist der Auffassung, dass Neonicotinoide schuld seien: »Höchstwahrscheinlich sind sie dafür verantwortlich, dass der Zusammenbruch von Bienenvölkern ausgelöst wird«, schreibt Harvard-Forscher Chensheng Lu.

Auch Chemikalien wie BPA bedrohen Umwelt und Menschen

Lu forscht auch über andere chemische Bedrohungen durch Pestizide, zu einem Stoff namens Bisphenol A oder auch BPA. Er gehört zu den sogenannten Hormonstörern (»Endocrine Disruptors«). Sie werden verantwortlich gemacht für zahlreiche Missbildungen in der Natur – aber auch für nachlassende Fortpflanzungsfähigkeit beim Menschen.

Und sie gelten neuerdings als Dickmacher. Nicht nur die Pestizide zählen dazu, ebenso das umstrittene Gift namens Glyphosat (»Roundup«) und die Neonicotinoide, die die Bienen in die Irre führen. Aber auch viele andere Chemikalien, die sich in der modernen Nahrung finden. Manche stammen aus der Landwirtschaft, andere aus den Verpackungen, den Beschichtungen von Getränkedosen etwa, wie das hormonartige BPA (siehe Hans-Ulrich Grimm: »Die Kalorienlüge«).

Viele werden auch eigens zugesetzt, als Bestandteil der industriellen Rezepturen. Auch die Produkte, die ursprünglich von Tieren stammen, werden in den Food-Fabriken so verwandelt, dass sie auf einen Menschen zum Beispiel eher wie eine Cola wirken, genau- er: eine Cola light.

Ein künstlicher Zusatzstoff, der das Gehirn des Menschen beeinflusst: Aspartam

So ist in industriellen Milchdrinks oft ein Stoff enthalten, der auf Menschen ganz ähnlich wirkt wie die Ackergifte auf die Bienen. Und dazu führt, dass jene unter den Menschen, die fliegen können, diese Fähigkeit verlieren: die Piloten. Zahlreiche Piloten haben diese Erfahrung bereits gemacht, sie bekamen im Cockpit plötzlich Schwindelanfälle und brachten so sich und ihre Passagiere in Gefahr.

Aus diesem Grund wiesen zahlreiche Fluglinien und Luftfahrtmagazine auf die Gefahren hin: Das amerikanische Air-Force-Informationsblatt Flying Safety, das Marinemagazin Navy Physiology, das Aviation Medical Bulletin und viele andere warnten vor Schwindel und epileptischen Anfällen. Über eine Piloten-Hotline berichteten 600 Flugzeuglenker über ähnliche Symptome einschließlich der Anfälle im Cockpit.

Ursache: ein künstlicher Zusatz mit der E-Nummer 951, Aspartam, der erfolgreichste, der berühmteste, aber auch der berüchtigste unter den Süßstoffen, nicht nur in Cola light enthalten, sondern auch in vielen Milchdrinks von Müller, wie Fitness Molke Apfel und Fructiv Roter Multivitamin. Und auch in Joghurt von Danone, ausgerechnet in Actimel 0,1 % Fett Classic – der ja als besonders gesund gilt, jedenfalls wenn man der Werbung glaubt.

Aspartam ist ein gesundheitsschädlicher Süßstoff

Dabei ist Aspartam der umstrittenste der künstlichen Süßstoffe. Die Herstellerfirma ist zwar von der Harmlosigkeit überzeugt, verweist auf die Zulassung in vielen Ländern. Doch es mehren sich die Berichte über Gefahren für die Gesundheit. Sie handeln von Kopfweh und Migräne, aber auch von Schüttelfrost, Verwirrung, Muskelschmerzen. Oder von Durchfall, Sehstörungen und Gleichgewichtsproblemen.

Aspartam kann in die Steuerungsmechanismen im Gehirn eingreifen, behindert auch den Eintritt von Glukose dort – und damit den wichtigsten Energieträger für die Hirntätigkeit. Besonders bedenklich sei der Süßstoff während der Schwangerschaft, meinen manche Wissenschaftler, denn er könne unter Umständen das Gehirn des werdenden Kindes schädigen.

Das Beispiel zeigt: Es ist nicht nur die Biene, die unter der allgegenwärtigen Chemie leidet. Es ist auch der Mensch. Und gerade die Food-Industrie setzt bei der Verwandlung von Tierprodukten in Supermarktwaren solche Chemikalien in großen Mengen ein, für Milchprodukte, aber auch in der Wurst. Gerade sie gilt ja bei Forschern als besonderes Gesundheitsrisiko. Sogar die Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnten Ende 2015 schon vor Risiken für Wurstliebhaber. Und verantwortlich dafür sind wohl vor allem die verwendeten Zusätze.

Weiter geht’s im Buch “Die Fleischlüge”.

Hans Ulrich Grimm
Experte: Dr. Hans-Ulrich Grimm
Dr. Hans-Ulrich Grimm ist Journalist und Autor, er lebt in Stuttgart.