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Angst vor Krankheiten: Hypochonder sind keine Simulanten

Sie selber halten sich für (tot-)krank, andere nehmen sie oft nicht ernst. Warum man zum Hypochonder wird – und was man tun kann, um von der Angst vor Krankheiten los zu kommen.
von Eva Tenzer
Hypochonder haben Angst vor Krankheit© georgerudy - Fotolia.com

Kennen Sie “Der eingebildete Kranke” von Moliere? Eine französische Komödie und vielleicht das bekannteste Stück über Hypochonder, das es gibt. Ein Hypochonder hält sich selbst für krank, auch wenn er es gar nicht ist. Die Menschen in seiner Umgebung nehmen ihnen deshalb oft nicht ernst. Doch dabei vergessen sie: Hypochondria ist selbst eine Krankheit. Und die Angst vor Krankheiten loszuwerden, ist gar nicht so einfach. evidero informiert.

Als Markus Seeger (Name geändert) in die Arzt-Praxis kommt, hat er seine Diagnose bereits in der Tasche: „Tumor/Tractus Thalamo-corticalis” hat er auf einen Zettel geschrieben. Das sei der Grund für die Kopfschmerzen und die Gefühllosigkeit in der linken Gesichtshälfte, erklärt er seinem Arzt und verlangt, für eine Computertomographie sofort ins Krankenhaus überwiesen zu werden.

Vor zwei Monaten wollte der 45-Jährige mit einer Magenspiegelung seinem Verdacht auf Krebs nachgehen. Im letzten Jahr diagnostizierte er sich nach Brustschmerzen monatelang einen Herzinfarkt. Die Ärzte fanden keine der befürchteten Erkrankungen, was Markus Seeger jedoch nicht beruhigte. „Im Gegenteil“, gesteht er, „sobald ein Verdacht ausgeräumt ist, suche ich einen neuen Spezialisten oder konzentriere mich auf andere Symptome.“

Fast jeder Mensch hat Angst vor Krankheiten

Angst vor Krankheit ist normal. Bedenklich wird es, wenn sie bestehen bleibt, nachdem ein Arzt Entwarnung gegeben hat. „Vier bis sechs Prozent aller Patienten verlassen die Praxen mit diesem ständig nagenden Zweifel“, sagt Brian Fallon, Psychiater an der Columbia University in New York.

Hypochonder sind ein interkulturelles Phänomen, also überall auf der Welt zu finden, wie eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt. Eine deutsche Untersuchung kam zu dem Schluss, dass drei bis vier Prozent der Bundesbürger an einer Gesundheitsangst leiden, die organisch nicht begründet ist und zu psychischem Leiden und häufigen Arztbesuchen führt. Und eine repräsentative Befragung von über 1.500 Hausarztpatienten im Raum Mainz ergab, dass man mit zunehmendem Alter hypochondrischer wird.

Hand aufs Herz: Dachten Sie bei Knieschmerzen auch schon einmal an eine Arthrose, bei Kopfschmerzen an einen Hirntumor? Überprüfen Sie Ihren Körper häufiger auf Krankheits-Zeichen? Oder vermeiden Sie im Gegenteil, überhaupt etwas über Krankheiten zu lesen, aus Angst, sich anschließend in die Furcht davor hineinzusteigern?

Das Internet fördert Hypochondrie

Das Internet verändert die Hypochondrie. Unzählige medizinische Netzdienste bieten Informationen über die bedrohlichsten, exotischsten und damit „attraktivsten” Krankheiten. In Diskussionsgruppen kann man sich selbstquälerisch austauschen.

„Das Internet ist ein absoluter Alptraum. Hypochonder tippen ihre Symptome ein und tauchen mit einer riesigen Zahl an möglichen Krankheiten wieder auf. Dann finden sie Chatrooms für diese Krankheit und bekommen eine Menge schneller Diagnosen und Desinformationen“, schimpft der amerikanische Psychiater Brian Fallon.

Was sind Ursachen von Hypochondrie?

Das Problem bei Hypochondern liegt tiefer. Als Auslöser gelten heute psychische, soziale und biologische Faktoren. Das können überfürsorgliche Eltern sein, die vor allem auf körperliche Symptome reagieren. „Wenn sich eine Mutter auf jedes Symptom stürzt, lernt das Kind, dass es Aufmerksamkeit vor allem dann bekommt, wenn es krank ist“, erklärt Brian Fallon. Eine weitere Risikogruppe sind Kinder kranker Eltern, die deren ständige Sorge um die Gesundheit übernehmen, oder Menschen, die als Kinder selbst schwer krank waren.

Hypochonder haben auch Vorteile

Hypochondrie kann Vorteile haben, da Hypochonder eher zur Vorsorge gehen und sich aktiv um ihre Gesundheit kümmern. Stört die Hypochondrie allerdings Alltagsleben, Familie oder Arbeit, ist eine Therapie angezeigt. Entscheidend ist, herauszufinden, welche psychischen Probleme beteiligt sind. Oft ist es freilich schwierig, Patienten für die Einsicht in die psychischen Ursachen zu gewinnen – sie fühlen sich dann unter Umständen mit ihren körperlichen Symptomen nicht ernst genommen.

Was kann man als Hypochonder tun?

Verhaltenstherapie kann helfen. Die Patienten lernen, dass nicht alles, was sie spüren, eine körperliche Erkrankung ist. Und sie lernen, sich von ihren Symptomen abzulenken. So merken sie, dass sich Beschwerden verschlimmern, wenn man sich auf sie konzentriert und bessern, wenn man sie vergisst.

Diese Erfahrung machen Betroffene bisweilen auch ohne therapeutische Hilfe. So gibt ein anonymer Hypochonder, der wegen rätselhafter Schmerzen im Brustkorb besorgt war, auf seiner Internet-Seite Leidensgenossen den Tipp: „Die beste Medizin für all meine Beschwerden ist aber tatsächlich: Gran Canaria.“

Autorin: Eva Tenzer
Dr. Eva Tenzer arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für überregionale Zeitungen und Magazine sowie als Buchautorin. Schwerpunkt ihrer Beiträge sind Themen aus Psychologie und Gesundheit. Ihr letztes Buch "Go Shopping!: Warum wir es einfach nicht lassen können" erklärt die Psychologie hinter der verbreiteten Kauflust.